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RESSOURCEN/224: Fracking - die raubenden Bohrer ... (SB)



Im US-Bundesstaat Colorado gibt es über 100.000 aktive und inaktive Bohrlöcher aus der Erdöl- und Erdgasförderung, die mittels der hydraulischen Frakturierung, kurz Fracking, durchgeführt wird. Bei über 700 verwaisten Bohrlöchern wissen die Behörden nicht einmal, wer sie angelegt hat. Nun müssen die Steuerzahler die Stillegung bezahlen, wofür die Staatsregierung fünf Millionen Dollar zur Seite gelegt hat. Das Geld wird niemals reichen, können sich doch die Sicherungskosten pro Bohrloch auf bis zu eine Million Dollar belaufen. Unterdessen ziehen die Marodeure und Brunnenvergifter der fossilen Energiewirtschaft weiter und stecken sich neue Claims ab, wohingegen die Bevölkerung jahre- bis jahrzehntelang für die Folgekosten des Frackings aufzukommen hat.

Vor allem was die indirekte Subventionierung der Energiekonzerne durch den Staat betrifft, unterscheiden sich die USA und Deutschland weniger, als auf den ersten Blick ersichtlich ist. So werden die Kosten, die sich aus der Erkrankung vieler Menschen aufgrund beispielsweise der Feinstaub-, Schwermetall- und Kohlenstoffdioxidemissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger ergeben, nicht eingepreist. Das heißt, es entstehen zwar Kosten, doch die werden externalisiert und von der Gesellschaft übernommen. Diese hat es den Unternehmen ermöglicht, Profite aus der Förderung des Rohstoffs zu generieren und diese dank eines gegenüber der Industrie wohlwollenden Steuersystems zu privatisieren. Das gilt für Braun- und Steinkohle in Deutschland genauso wie für die Erdöl- und Erdgasförderung in den USA. Man kann sagen, solange es nur um die Umverteilung der Verluste geht, wird in dem in den USA und Deutschland vorherrschenden neoliberalen Wirtschaftsmodell nicht einmal sozialistisches Gedankengut abgelehnt: Die Gesellschaft darf bezahlen.

Die Stillegung und Sicherung eines jener 720 "verwaisten" Bohrlöcher kostet nach Angaben der Colorado Oil and Gas Conservation Commission (COGCC) nur rund 85.000 Dollar, berichtete Philip Doe für das Magazin CounterPunch [1]. Schon allein das würde die Steuerzahler in den nächsten Jahren 61 Mio. Dollar kosten. Dem noch nicht genug hätte allerdings kürzlich das Schließen zweier Bohrlöcher in urbanen Regionen Kaliforniens jeweils eine Million Dollar verschlungen. Offensichtlich reiche die zurückgestellte Summe von fünf Mio. Dollar bei weitem nicht aus. Wie teuer werde es erst, wenn die verbleibenden 100.000 Bohrlöcher in Colorado geschlossen und gesichert werden müssen, fragt Doe. Der Staat verlange lediglich 10.000 Dollar für die Stillegung eines Bohrlochs und bis zu 100.000 Dollar für alle Bohrlöcher eines Unternehmens. Anadarko, das größte von ihnen in diesem Bundesstaat, hat jedoch 8.000 Bohrlöcher zu schließen und kommt somit extrem billig davon.

Beim sogenannten Fracking wird ein Bohrloch zunächst senkrecht, dann innerhalb des Zielhorizonts waagerecht angelegt, um anschließend mittels einer Perforationskanone Löcher in die Wandung des Bohrgestänges sowie die umgebende Gesteinsschicht zu schießen. Dann wird eine Flüssigkeit aus Wasser, diversen Chemikalien und Spezialsand unter extrem hohen Druck in den Untergrund gepreßt. Dadurch wird das Gestein aufgebrochen, so daß das in kleinen Poren und Spalten vorliegende Gas oder Öl zusammenströmen und an die Oberfläche gefördert werden kann. Jedes Bohrloch wird mehrfach "gefrackt", und vom senkrechten Abschnitt der Bohrlöcher wird nicht nur in eine Richtung, sondern meist in verschiedene Richtungen horizontal weitergebohrt.

Trotz dieses riesigen Aufwands bleiben etwa 90 Prozent der Energieträger im Untergrund. Abschließend müssen die Bohrlöcher bis zu einer bestimmten Tiefe mit Beton verfüllt und gesichert werden, damit weder Gas austritt noch Grundwasserhorizonte kontaminiert werden. Weil Beton mit der Zeit brüchig und durchlässig wird, müßten alle Bohrlöcher etwa alle zwanzig Jahre ausgebohrt und von neuem verfüllt werden. Ob es flächendeckend dazu kommt, ist äußerst fraglich, zumal bereits die Finanzierung der Erstsicherungsmaßnahmen der Bohrlöcher ungewiß ist.

Die Ungewißheit geht nicht nur auf das mangelnde Interesse des Gesetzgebers zurück, die Unternehmen zu den erforderlichen Mindestmaßnahmen in Sachen Umwelt- und Gesundheitsschutz zu zwingen, sondern hat mit der desolaten wirtschaftlichen Situation der Gas- und Ölbranche zu tun. Ihre Schulden belaufen sich auf 260 Mrd. Dollar. Anadarko habe 14,5 Mrd. Dollar Schulden, berichtet Doe. Allein im vergangenen Quartal hätten die operativen Kosten des Unternehmens die Einnahmen um 500 Mio. Dollar übertroffen, und die Aktionäre hätten das Unternehmen wegen Mißmanagements verklagt. Doe führt es nicht näher aus, aber die Vermutung liegt nahe, daß, sollten die Fracking-Unternehmen pleite gehen, am Ende des Tages wahrscheinlich niemand mehr da wäre, der ihre Verbindlichkeiten übernimmt.

Die US-Regierungen, ob von den Demokraten oder den Republikanern geführt, haben sich aus geostrategischen Gründen entschieden, heimisches Erdöl und Erdgas zu fördern, was nur mit Hilfe modernster Bohrtechnologie möglich geworden ist. Dadurch wurden die USA im Laufe des vergangenen Jahrzehnts relativ unabhängig von Importen, konnten selber Einfluß auf die Höhe der Weltmarktpreise für fossile Energieträger nehmen und auch auf diese Weise Geopolitik betreiben. Selbst wenn der Weltmarktpreis so weit sinkt, daß ihre eigene Industrie darunter leidet - Fracking hat relativ hohe Förderkosten -, Firmen Konkurs anmelden und in der Branche Konzentrationsprozesse stattfinden, ist dieser Preis gering verglichen mit dem geopolitischen Nutzen, daß unliebsame erdölexportierende Länder wie Rußland und Venezuela dadurch unter Druck geraten.

Die Kosten für solches Kalkül hat dann, abgesehen von den Menschen in den besagten Ländern, die heimische Bevölkerung zu übernehmen, da durch Fracking Luft, Boden und Grundwasser kontaminiert werden und Menschen in Folge der aus den Bohrlöchern emittierten Luftschadstoffe, des verseuchten Trinkwassers und der sowohl verkehrs- als auch produktionsbedingten (Sandgewinnung) Staubbelastung erkranken. Was die flächendeckende Zerrüttung des Untergrunds an möglichen Langzeitfolgen mit sich bringt, ist bislang nicht einmal ermittelt.


Fußnote:

[1] https://www.counterpunch.org/2018/12/28/fracking-future-shock-in-colorado/

2. Januar 2019


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