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RESSOURCEN/234: Erdölpipeline Kanada - Geld stinkt nicht ... (SB)



Seit Jahren protestieren Umweltschutzbewegungen gemeinsam mit Ureinwohnern Kanadas gegen den Bau einer weiteren Erdölpipeline im Trans Mountain Pipelinesystem und haben erreicht, daß das Projekt gerichtlich gestoppt wurde. Nun haben sich einige indigene Stämme bereit erklärt, die Mehrheit an dem Bauvorhaben zu erwerben, so daß sie später von den Einkünften durch die umstrittene Pipeline profitieren. Anscheinend setzt sich hier mal wieder die Politik des Teilens und Herrschens durch.

Der liberale kanadische Premierminister Justin Trudeau hat ein Problem. Das 6,4 Mrd. Euro teure Trans Mountain Expansion Project (TMX) kommt nicht von der Stelle. Eigentlich möchte Kanada seine Erdölexporte weiter hochfahren und im Norden der Provinz Alberta noch mehr Teersande abbauen. Doch im vergangenen Jahr ist das Unternehmen Kinder Morgan Canada aus dem geplanten Bau einer weiteren Pipeline, die zu 70 Prozent parallel zur bestehenden Trans Mountain Pipeline von Edmonton in Alberta zum Verladehafen Westridge Marine Terminal in Burnaby bei Vancouver, Provinz British Columbia, laufen soll, ausgestiegen. Im Mai 2018 hat die kanadische Regierung das Projekt, das eine Verdreifachung des täglichen Schwerölflusses von 300.000 auf 890.000 Barrel zur ostpazifischen Küste vorsieht, für umgerechnet gut drei Milliarden Euro übernommen.

Von Burnaby aus würde der fossile Energieträger per Schiff zu den Märkten in Asien gebracht. Die Gewässer an der ostkanadischen Pazifikküste gelten allerdings als schwierig zu befahren, und so käme zu der Gefahr von Umweltverseuchungen entlang der rund 1150 Kilometer langen Pipeline noch das beträchtliche Risiko eines Unglücks mit einem Großtanker hinzu. Bei Auslastung beider Pipelines würde die Bucht nicht mehr von fünf, sondern von 34 Tankern pro Monat befahren.

Am 30. August 2018 hatte das Bundesberufungsgericht Kanadas die Genehmigungen für den Weiterbau des Trans Mountain Erweiterungsprojekts widerrufen und das National Energy Board der Regierung zu einer Neubewertung der Umwelt- und sozialen Folgen aufgefordert. Im einzelnen wurde bemängelt, daß die First Nations nicht in die abschließenden Planungen des Baus eingebunden worden waren, obschon das kanadische Gesetz dies vorsieht, und daß die Folgen für die in diesen Gewässern lebenden Orcas nicht ausreichend untersucht wurden.

Ein Jahr darauf, im Juni 2019, hat die Regierung Trudeaus dem Projekt grünes Licht erteilt. Und wie es aussieht, könnte der wirtschaftsfreundliche Premierminister, der sich mehr als seine Vorgänger für die Interessen der First Nations einsetzt und auch in Sachen Klimaschutz um seinen Ruf besorgt ist - er hat eine Kohlenstoffsteuer eingeführt -, eine Lösung gefunden haben. Für Trudeau ist die Erweiterung der Trans Mountain Pipeline eine Frage des "nationalen Interesses".

Mindestens zwei indigene Zusammenschlüsse wollen die Pipeline teilweise oder komplett übernehmen. Sollte es dazu kommen, hätte Trudeau der Kritik an seiner Politik der staatlichen Intervention - die Verschwendung von Steuergeldern - den Wind aus den Segeln genommen.

Die Provinz Alberta und die kanadische Bundesregierung sind deshalb so sehr daran interessiert, die Transportkapazitäten in Richtung Küste zu verdreifachen, weil bisher fast alles Schweröl in die USA geht, entweder per Pipeline oder per Bahn. Zu den höheren Transportkosten auf dem Schienenweg kommt noch der ausgesprochen niedrige Preis hinzu, den die US-Unternehmen für das kanadische Öl bezahlen. Deshalb wäre der Seetransport nach Asien nicht nur ein ökonomischer, sondern auch ein strategischer Gewinn für Kanada, könnte es doch seine Abhängigkeit von seinem südlichen Nachbarn verringern.

Mit dem Project Reconciliation (z. Dt.: Versöhnungsprojekt) strebt eine Initiative der First Nations die Übernahme von 51 Prozent an der Trans Mountain Pipeline an. Die indigene Option sei wesentlich weniger provokativ, als wenn ein multinationaler Konzern die Pipeline kaufe, sagte Ken Coates, Professor für Öffentlichkeitspolitik an der University of Saskatchewan, gegenüber Reuters. [1]

In den 66 Jahren seit dem Bau einer Pipeline von Alberta nach British Columbia habe die Nakota Sioux Nation, über deren Land die Strecke verläuft, keine Vorteile, sondern immer nur Nachteile gehabt, sagte Tony Alexis, Chief der Nakota Sioux. Nun bestehe die einzigartige Chance, an der Erdölinfrastruktur zu verdienen. Alexis ist Mitglied der Iron coalition (z. Dt.: eiserne Koalition), eines weiteren Zusammenschlusses, der erst in diesem Jahr von indigenen Stämmen gegründet wurde, um zwischen 50 und 100 Prozent des Pipelinesystems zu übernehmen. Sämtliche Einkünfte sollen an die Mitglieder der Koalition verteilt werden.

Am Versöhnungsprojekt und der Eisernen Koalition sind jedoch nicht alle First Nations, Métis (Mestizen) und Gemeinden, die von den Umweltauswirkungen der Pipeline betroffen wären, beteiligt. So erwägen die Tsleil-Waututh, die an der Bucht auf der gegenüberliegenden Seite des Westridge-Verladeterminals leben, gegen die Genehmigung der Pipeline zu klagen. Auch andere Stämme wenden sich gegen die Beteiligungsabsichten einiger Ureinwohner an dem Pipelinebau. Somit läuft ein tiefer Spalt zwischen den First Nations, die in den Gebieten leben, die heute zu British Columbia zählen, und den First Nations in den Alberta zugeordneten Stammesgebieten.

Vom Standpunkt des Umwelt- und Klimaschutzes aus macht es allerdings keinen Unterschied, ob die Trans Mountain Pipeline von Kinder Morgan, dem Staat oder der ursprünglichen Bevölkerung betrieben wird. Auch wenn Trudeau zugesagt hat, den Schutz der Meeressäuger und die Sicherheit der Seewege zu verbessern, kann er keine Garantie dafür geben, daß bei einem täglichen Tankerverkehr nicht doch irgendwann eine Havarie passiert. Noch nicht vergessen sind die verheerenden Folgen der Ölpest im Prinz-William-Sund an der Küste des weiter nördlich gelegenen US-Bundesstaats Alaska durch den leckgeschlagenen Öltanker Exxon Valdez am 24. März 1989. Die Küste bei Vancouver ist nicht weniger zerklüftet und von Riffen geprägt als die Alaskas.

Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge bleiben der Menschheit vielleicht nicht einmal mehr zehn Jahre, um einen radikalen Kurswechsel zu vollziehen und die Treibhausgasemissionen drastisch zurückzufahren. Eine wesentliche Voraussetzung hierzu wäre, daß die fossilen Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas gar nicht erst gefördert werden. Das aus den kanadischen Teersanden gewonnene Bitumen weist sogar eine besonders schlechte Umwelt- und Klimabilanz auf. Den Preis für das Beharren nicht nur Kanadas auf der Förderung von fossilen Energieträgern bezahlen heute schon Menschen, die in klimatisch weniger vorteilhaften Regionen wohnen und vermehrten Dürren, Überschwemmungen oder anderen Extremwettererscheinungen ausgesetzt sind. Die Menschen auf flachen Inseln wie den Marshall Islands im Pazifik werden absehbar bis Mitte des Jahrhunderts ihre Heimat verlieren, weil der Meeresspiegel unaufhaltsam steigt.


Fußnote:

[1] https://www.reuters.com/article/us-canada-pipeline-aboriginal/canada-aboriginal-pipe-dream-might-end-trudeaus-trans-mountain-nightmare-idUSKCN1TX2FL

31. Juli 2019


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