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BERICHT/140: Meeresnutzung - Schutzaufwände ungenügend ... (SB)



Podiumsrunde, dem Publikum zugewandt - Foto: © 2018 by Schattenblick

Von links: Silke Spohn, Guido Genrich, Heike Imhoff und Moderator Christoph Spehr (Fair Oceans) stellen sich Fragen aus dem Publikum
Foto: © 2018 by Schattenblick

Allein der Pazifische Ozean nimmt eine größere Fläche ein als alle Landmassen zusammengenommen. Nicht zuletzt deshalb bezeichnen ihn die Bewohnerinnen und Bewohner der dort beheimateten Inselstaaten als ihren "flüssigen Kontinent". Das ist für sie nicht einfach nur ein anderer Name für die gleiche Sache, damit verknüpft sich vielmehr auch die Erwartung an einen respektvollen Umgang mit dem ozeanischen Lebensraum.

Wie dringend erforderlich diese Einstellung und Praxis für den von Überfischung, Vermüllung, Versauerung und welchen anderen menschlichen Vernutzungsformen auch immer bedrohten Pazifik sowie die übrigen Ozeane ist, darauf machen die Vereinten Nationen seit 2009 jedes Jahr am 8. Juni aufmerksam, dem "Tag der Ozeane". Das Datum lehnt sich an den 8. Juni 1992 an, als in Rio de Janeiro der legendäre Erdgipfel abgehalten wurde, an dem eine Reihe von globaladministrativen Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen auf den Weg gebracht worden war, die viel mit den Meeren zu tun haben.

In diesem Jahr wurde der Tag der Ozeane zum zehnten Mal begangen. Wenngleich solche Gedenktage einen ähnlich bitteren Beigeschmack tragen wie Mutter- oder Vatertage - einmal im Jahr wird jemand beachtet, an 364 Tagen im Jahr dagegen ... -, bieten sie dennoch einen guten Anlaß, solche Problemfelder überhaupt einmal in den Aufmerksamkeitsfokus der Öffentlichkeit zu rücken.

Das hat ein zivilgesellschaftliches Bündnis aus Brot für die Welt, Fair Oceans und Forum Umwelt & Entwicklung ausgiebig getan und in der Landesvertretung Bremens in Berlin eine Konferenz mit dem Titel "Weltmeere zwischen Umwelt und Entwicklung" veranstaltet. Vertreterinnen und Vertreter aus mehreren Bundesministerien und ihnen zugeordneten Regierungsinstitutionen sowie unter anderem der oben erwähnten Konferenzorganisationen referierten zunächst und diskutierten anschließend mit den Gästen zu drei Themenblöcken: Internationale Meerespolitik, Tiefseebergbau und Fischerei.

In dieser ersten von mehreren geplanten Auf- bzw. Nachbereitungen der Konferenz geht es zunächst um das Panel 1, "zentrale Fragen internationaler Meerespolitik". Heike Imhoff, im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit für das Referat Meeresschutz zuständig, stellte zu Beginn ihres Vortrags fest, daß wir für den Schutz der Meere noch besser werden müssen, als wir es in der Vergangenheit schon waren, "weil die Zeit drängt und das Tempo der Nutzung und auch der Verschlechterung der Meeresökosysteme zweifelsfrei zunimmt".

Einer der Schwerpunkte der deutschen Meeresschutzpolitik besteht demnach in der Vermeidung von Meeresmüll. "In der imhoffschen Diktion, im Jargon bei uns im Büro heißt es nur: Jeder ist Opfer, jeder ist Täter", berichtete die Ministerialrätin. Deutschland habe das Thema Meeresmüll in den Jahren 2015 und 2017 im G 7/G 20-Prozeß adressiert. Im Rahmen von OSPAR (benannt nach den Vorläuferkonventionen von Oslo und Paris zum Schutz von Nordsee und Nordostatlantik) und HELCOM (benannt nach der Helsinki-Konvention zum Schutz der Ostsee) sei jeweils ein regionaler Aktionsplan gegen die Einleitung von Müll in die Meere erstellt worden. Imhoff beendete ihre Ausführungen mit der Behauptung, daß Deutschland hinsichtlich des globalen Problems des Meeresmülls "im großen und ganzen schon recht gut" ist.

Sicherlich kann man von Personen aus dem Regierungsapparat nicht erwarten, daß sie ihre eigene Arbeit oder die ihrer Kollegen unter den Scheffel stellen. Dennoch hätte man sich gewünscht, daß die Möglichkeiten, über das Konstatieren von Feststellungen zu den Meeren als "Dienstleister", banal klingenden Schlußfolgerungen ("Nutzung der Meere ist unabdingbar") und bloßes Auflisten von Fragen [1] hinaus die Probleme genauer benannt und diskutiert worden wären.

So hätte man doch gerne erfahren, daß die Bundesregierung nicht nur Nutzungskonflikte erkennt, sondern auch, wie sie mit ihnen umgeht. Zudem blieben Nutzungskonflikte unerwähnt, die sich beispielsweise aus der zunehmenden Verdichtung von Offshore-Windenergieanlagen ergeben, angefangen von der Sedimentverfrachtung an den Fundamenten, über Zugvogel- und Fledermausschlag, Lärmbelästigung der Meeresbewohner, Einschränkung einer weiteren Meeresnutzungform (Fischerei), etc. Und vergleichbar damit, wie der peruanische Landwirt Saúl Luciano Lliuya das Unternehmen RWE verklagt, damit es sich an Schutzmaßnahmen gegen das Überlaufen eines Gletschersees in Huaraz in den Anden beteiligt, weil es durch den Betrieb von Kohlekraftwerken und die damit verbundenen CO2-Emissionen den Klimawandel mitverursacht hat, ließe sich eine ähnliche Bilanz von der Mitverantwortung der Bundesrepublik Deutschland an der weltweiten Versauerung der Meere ziehen, da die Regierung Unternehmen wie RWE überhaupt erst die rechtlichen Voraussetzungen verschafft, Kohlekraftwerke zu betreiben.

Die Versauerung der Meere wiederum, genauer gesagt, die hohe Geschwindigkeit, mit der die Meere das CO2 aus anthropogenen Emissionen aufnehmen und ihren pH-Wert in Richtung sauer verschieben, setzt kalkbildenden Meeresbewohnern wie den Korallen zu. Im Unterschied zu anderen erdgeschichtlichen Phasen, in denen die Meere sehr viel saurer als gegenwärtig waren, bleibt den Korallen heute nicht genügend Zeit, sich an die Veränderungen anzupassen. Dafür trägt Braunkohleverstromungsweltmeister Deutschland eine Mitverantwortung.

Insofern wäre zwar Imhoffs Bekenntnis zu einer höheren Ressourceneffizienz zuzustimmen, da wir auf unserem Planeten "an allen Ecken und Enden ans Ende der Ressourcen kommen" und deswegen der "Blick aufs Meer" geht. Doch wenn sie hofft, daß man sich den Abbau von Rohstoffen aus dem Meer sparen kann, "wenn man sich an Land intelligenter verhält", dann sei an dieser Stelle daran erinnert, daß die deutsche Regierung ihre Klimaschutzziele bis 2020 grandios verfehlt, sich also gemessen am Anspruch des Meeresschutzes nicht sonderlich intelligent verhält. Um 40 Prozent sollten die CO2-Emissionen gegenüber dem Basisjahr 1990 reduziert werden. Voraussichtlich bleibt Deutschland acht Prozent (laut Bundesregierung) oder gar zehn Prozent (laut BUND) hinter dem Ziel zurück.

Der Schutz der Meere ist, wie sollte es anders sein, nicht zuletzt eine internationale Angelegenheit, die globale Vereinbarungen und Institutionen erfordert. Imhoff sprach von drei Komponenten einer "Ocean Governance", erstens der Kooperation regionaler Meeresschutzorganisationen, zweitens Kooperation einer Meeresschutzorganisation mit einer Nutzungsorganisation und drittens Kooperation bzw. Austausch der regionalen mit der globalen Ebene. In Hinsicht des Meeresschutzes sah Imhoff jedoch den Multilateralismus einem zur Zeit "massiven Druck" ausgesetzt.

Ähnlich äußerte sich auch ihr Nachredner, Guido Genrich vom Auswärtigen Amt. Wir stehen tagtäglich "vor großen Herausforderungen des Multilateralismus", berichtete er in seinem Vortrag über "Stärken und Schwächen des UN-Seerechtsübereinkommens in Zeiten des Bedeutungszuwachses der internationalen Meerespolitik". Das Seerechtsübereinkommen, kurz UNCLOS genannt (von United Nations Convention on the Law of the Sea), wurde 1982 beschlossen und trat 1994 in Kraft. Genrich nannte es die "Mutter aller Konventionen" und war voll des Lobes: "Kein Völkerrechtsabkommen weltweit, das so umfangreich ist und eine solche Ratifizierungsdurchdringung hat."

Dennoch sind in den letzten Jahrzehnten Aktivitäten und Nutzungsformen hinzugekommen, die man früher nicht kannte und für die rechtlich nur sehr allgemeine oder gar keine Bestimmungen gemacht wurden: Das Verlegen von Internettiefseekabeln, die Suche nach und Gewinnung von genetischen Ressourcen - Stichwort Bioprospecting -, der Einsatz von Drohnen zur Überwachung von Meeresschutzgebieten und der Klimawandel. Außerdem wird es zukünftig möglicherweise unbemannte Schiffahrt geben. Das alles muß international geregelt werden. So sind die Seevölkerrechtler laut Genrich "intensiv" mit Fragen befaßt, wie man damit umgeht, wenn durch den Anstieg des Meeresspiegels Küstengebiete oder gar ganze Inseln überschwemmt werden. Aber die Diskussionen der Seevölkerrechtler beruhten immer auf der Seerechtskonvention. Dort würde nach Anknüpfungspunkten gesucht, um auch die modernen Erscheinungsformen auf der Grundlage der Konvention zu regeln, betonte er.

Der Nachdruck, mit dem er dies schilderte, geht offenbar darauf zurück, daß UNCLOS nicht in Marmor gemeißelt ist. Die USA sind dem Abkommen zwar nicht beigetreten, handeln aber danach. Das könnte sich ändern. So wie die US-Regierung unter Donald Trump beispielsweise dem UN-Klimaabkommen einen Laufpaß gegeben hat, würde es nicht wundern, wenn sie anfinge, auf den Meeren "ihr eigenes Ding" zu machen. Jedenfalls deutete der Außenamtsmitarbeiter ganz allgemein an, daß Staaten "zunehmend" UNCLOS in Frage stellten, und erklärte, er sei nicht sicher, "ob wir heute, mit all den Herausforderungen und Partikularinteressen und dem von Frau Imhoff erwähnten Druck auf den Multilateralismus, nochmal in der Lage wären, ein solches Wunderwerk des Völkerrechts für die Meere auf die Schiene zu setzen".

Genrich weiß, wovon er spricht, nimmt er doch für Deutschland an den Verhandlungen zur Ergänzung des UNCLOS für die Biodiversität in Gebieten jenseits der nationalen Jurisdiktion (BBNJ - biological diversity of areas beyond national jurisdiction) bei den Vereinten Nationen in New York teil. Das Vorhaben geht auf einen Beschluß der UN-Generalversammlung vom 19. Juni 2015 zurück; noch in diesem Jahr werden die Verhandlungen in New York fortgesetzt.

Silke Spohn von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) referierte zur "Verbindung von Umwelt und Entwicklung im Meeresschutz". Die GIZ ist eine staatliche GmbH zur Entwicklungszusammenarbeit und leistet vorwiegend beratende Arbeiten, vor allem für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Zu den großen Orientierungen dieser Einrichtung zählen die Agenda 2030 (Nachhaltigkeitsziele), die UN Ocean Conference (bis 2020 sollen 10 Prozent der Meeresfläche als Schutzgebiete ausgewiesen sein), der 2016 vom BMZ aufgestellte 10-Punkte-Aktionsplan (u.a. zur Bewahrung und nachhaltigen Nutzung von Küstenlebensräumen), der Marshallplan für Afrika sowie last but not least die UN-Klimarahmenkonvention.

Jener 10-Punkte-Plan [2] dient als Leitfaden für eine Reihe von Projekten zum Meeresschutz, zwei von ihnen stellte Spohn vor. In Mauretanien wird die Bevölkerung von der GIZ darin unterstützt, daß sie besser mit den Folgen des Klimawandels zurechtkommt, in Vietnam wird das integrierte Küstenmanagement gefördert.

Spohn hat es nicht näher ausgeführt, doch zu beiden Ländern unterhält Deutschland enge Wirtschaftsbeziehungen. Mauretanien ist unter anderem wegen seiner Fischbestände, aber auch wegen der Phosphatvorkommen von Interesse. Wohingegen sich Vietnam einerseits als Absatzraum für deutsche Waren, andererseits als Produktionsstandort mit vergleichsweise niedrigem Lohnniveau als attraktiver Partner zeigt. Eine wirtschaftliche Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit ist somit nicht von der Hand zu weisen.

(wird fortgesetzt)


Fußnoten:

[1] Beispielsweise Fragen wie diese:
Welche Fragen müssen wir stellen?
- In welchem Umfang ist Meeresnutzung unabdingbar und tolerierbar?
- Welchen Beitrag kann nachhaltiges, insbesondere ressourceneffizientes Handeln zum Schutz der Meere leisten?
- Wie kann die Entkopplung von wirtschaftlicher Entwicklung und nicht nachhaltiger Entwicklung gelingen?
- Wie verhindern bzw. schlichten wir Konflikte um die Ressourcen des Meeres?
- Wie verhindern bzw. schlichten wir Konflikte zwischen Nutzung und Schutz?

[2] Der 10-Punkte-Aktionsplan umfaßt:
1. Mehr und besser verwaltete Meeresschutzgebiete schaffen
2. Nachhaltige handwerkliche Fischerei und Aquakultur fördern
3. Nachhaltige und sozialverantwortliche Verarbeitung und Vermarktung von Fisch fördern
4. Partnerländer bei der Bekämpfung illegaler, ungemeldeter und unregulierter Fischerei unterstützen
5. Strategische Partnerschaften mit der Wirtschaft aufbauen
6. Partnerländer bei der Reduzierung der Meeresverschmutzung unterstützen
7. Strategien zum Umgang mit möglichen irreversiblen Schäden von Meeres-Ökosystemen entwickeln
8. Küstenregionen bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützen
9. Frühwarnsysteme für die Folgen des Klimawandels ausbauen
10. Länder- und themenübergreifende Kooperationen unterstützen

21. Juni 2018


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