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EUROPA/130: EU-Kommission - Deutschland in Wasserdienstleistungen ungenügend! (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 995, vom 09. Juni 2012, 31. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

EU-Kommission: Deutschland in Wasserdienstleistungen ungenügend!



Die EU-Kommission lässt Deutschland vor den Europäischen Gerichtshof zitieren. Deutschland habe in einem entscheidenden Punkt die EG-Wasserrahmenrichtlinie nicht kapiert - oder noch schlimmer: Deutschland weigere sich beharrlich aus Prinzip, das Verursacher- und Kostendeckungsprinzip in der Richtlinie zu akzeptieren (siehe auch BT-Drs. 17/8036). Streitpunkt zwischen der EU-Kommission und Deutschland ist seit Jahren die Frage, was unter dem weiten Begriff der »Wasserdienstleistungen« zu verstehen ist. Die zunächst eher abstrakt klingende Frage ist die Eine-Milliarde-Euro-Frage. Mindestens! Denn gemäß der Wasserrahmenrichtlinie müssen die Mitgliedstaaten die Wasserpreise so festsetzen, dass zum einen ein angemessener Anreiz für eine möglichst effiziente Nutzung der Wasserressourcen erzeugt wird - und dass zum anderen die Nutzer der Wasserressourcen nach dem Verursacherprinzip kostendeckend zu dem von ihnen erzeugten Aufwand herangezogen werden.

Deutschland hat sich diese Sichtweise bislang nur begrenzt zu Eigen gemacht. In der Interpretation der deutschen Wasserwirtschaftspolitik gilt das Verursacher- und Kostendeckungsprinzip nur für die Trinkwasserver- und die Abwasserentsorgung sowie die industrielle Wassernutzung. Nach Ansicht der Kommission umfasst der von der Richtlinie verwendete Ausdruck der »Wasserdienstleistungen« aber auch die Binnenschifffahrt, die Wasserkraftgewinnung, die landwirtschaftliche Bewässerung, die Belastung der Wasserressourcen mit Agrochemikalien sowie Maßnahmen des Hochwasserrückhaltes und des Hochwasserschutzes (siehe Kasten). Um die aus diesen »Wasserdienstleistungen« resultierenden Kosten zu erfassen, schreibt die Richtlinie in den Artikeln 5 und 9 sowie in Anhang III vor, dass die Mitgliedsstaaten für ihre Flusseinzugsgebiete jeweils eine "ökonomische Analyse" zu erstellen haben (siehe übernächste Notiz).

Setzt sich die Auffassung der EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof durch, müssten beispielsweise die volkswirtschaftlichen und ökologischen Kosten des Ausbaus und der Unterhaltung der Binnenwasserstraßen berechnet werden. Diese Kosten müssten dann verursachergerecht auf die Binnenschifffahrt umgelegt werden. Auf den meisten Wasserstraßen wäre dann wohl ein wirtschaftlicher Betrieb der Binnenschifffahrt nicht mehr möglich. Bislang wird die Binnenschifffahrt nur zu einem geringen Teil mit diesen Kosten belastet. Die mangelnde Berücksichtigung von betriebs- und volkswirtschaftlichen Kosten sowie von Umwelt- und Ressourcenkosten bei wichtigen »Wasserdienstleistungen« ist der Grund, warum deutsche Umweltverbände zusammen mit dem Europäischen Umweltbüro (eeb, dem europäischen Dachverband der Umwelt- und Naturschutzverbände in den EU-Mitgliedsstaaten) eine Beschwerde bei der EU-Kommission eingelegt hatten (siehe RUNDBR. 811/3). Die im Jahr 2005 formulierte "Strategische NGO-Beschwerde" hat jetzt zur Klage gegen Deutschland vor dem EuGH geführt.


Von »Wasserdienstleistungen« und »Wassernutzungen«
Nach Art. 2, Zi. 38: der Wasserrahmenrichtlinie sind »Wasserdienstleistungen« alle Dienstleistungen, die für Haushalte, öffentliche Einrichtungen oder wirtschaftliche Tätigkeiten jeder Art [!] Folgendes zur Verfügung stellen:
a) Entnahme, Aufstauung, Speicherung, Behandlung und Verteilung von Oberflächen- oder Grundwasser;
b) Anlagen für die Sammlung und Behandlung von Abwasser, die anschließend in Oberflächengewässer einleiten. Nach Zi. 39 werden unter einer »Wassernutzung« die zuvor genannten Wasserdienstleistungen "sowie jede andere Handlung" [!] (...) "mit signifikanten Auswirkungen auf den Wasserzustand" verstanden.

Wasserdienstleistungen: Verfahren gegen Deutschland ist exemplarisch

Die Kommission hatte Deutschland mehrfach aufgefordert, seine zu enge Auslegung der »Wasserdienstleistungen« zu korrigieren, um eine korrekte Anwendung von Artikel 9 der Richtlinie zu gewährleisten. Dazu wurde den deutschen Behörden im November 2007 ein formelles Aufforderungsschreiben übermittelt, gefolgt von einem weiteren Aufforderungsschreiben im September 2010 und schließlich einer mit Gründen versehenen Stellungnahme im September 2011. Deutschland hat jedoch die Auslegung der »Wasserdienstleistungen« bis heute nicht erweitert, so dass die Kommission den Fall nun an den Europäischen Gerichtshof verwiesen hat. Das Verfahren gegenüber Deutschland wird von der Kommission als exemplarisch angesehen. Denn sieben weitere Mitgliedstaaten - Österreich, Belgien (Region Flandern), Dänemark, Finnland, Ungarn, Niederlande, Schweden - sind genau so uneinsichtig wie Deutschland. Auch gegen Irland ist ein ähnliches Verfahren anhängig, das Land hat jedoch mittlerweile die breite Auslegung der Kommission akzeptiert und zugestimmt, seine Gesetzgebung zu ändern.


Deutsche Wasserpolitik am Rande des Nervenzusammenbruchs

Dass es für die deutsche Wasserpolitik ganz dicke kommen könnte, haben vor allem die obersten Wasserbeamten in den deutschen Länderumweltministerien schon lange befürchtet. Die in Art. 5 und 9 der EG-Richtlinie vorgesehene Erstellung von "Ökonomischen Analysen" für die großen Flusseinzugsgebiete war den Wasserwirtschaftsbeamten von Anfang an ein Graus (s. RUNDBR. 866/1-3, 857/1, 810/2, 744/3, 680/1-3, 629/1). Dies liegt einerseits daran, dass ökonomische Analysen der deutschen Wasserwirtschaft bislang wesensfremd waren. Zwar konnte man ziemlich genau berechnen, was eine Kläranlage, ein Hochwasserrückhaltebecken oder eine Schiffsschleuse kosten wird. Allumfassende Kostenbetrachtungen im Hinblick auf die Belastung des Grundwassers mit Agrochemikalien oder im Hinblick auf die ökologischen Schäden durch den Wasserstraßenausbau hat man nie angestellt. Dass man in der deutschen Wasserwirtschaftspolitik der Ökonomischen Analyse zunehmend kritisch gegenüber stand, liegt aber auch daran, dass der damit verbundene bürokratische Aufwand jedes vernünftige Maß überschritten hat, so zumindest der Eindruck in den Länderumweltministerien beim Abhaken der immer umfänglicheren Berichtspflichten gegenüber Brüssel. Von uns auf das laufende Vertragsverletzungsverfahren in Bezug auf die Wasserdienstleistungen/Wassernutzungen angesprochen, reagieren die Abteilungsleiter Wasserwirtschaft in den Länderhauptstädten ziemlich giftig: "Bleibt uns mit der ökonomischen Analyse vom Leib. Wir berichten uns jetzt schon zu Tode." Die unsäglichen Berichtspflichten im Zusammenhang mit der ökonomischen Analyse würden Manpower bis zum geht nicht mehr binden. Diese Manpower würde bei der praktischen Umsetzung - und nur die komme dem Gewässerschutz zu Gute - massiv fehlen. Die digitalen Berichtsformulare der EU-Kommission würden beispielsweise in Baden-Württemberg nur noch zwei Fachleute in der Karlsruher Landesanstalt für Umweltwelt (LUBW) verstehen. Und überhaupt: In Deutschland hätten wir zusätzlich zu den kostendeckenden Wasserpreisen immerhin eine Abwasserabgabe und Wasserentnahmeentgelte, in Irland führe man erst jetzt Wasserbezugsgebühren ein. Und in den osteuropäischen EU-Ländern sei man ebenfalls und noch für lange Dauer weit weg von kostendeckenden Wasser- und Abwasserpreisen.

Für den Fall, dass die EU-Kommission vor dem EuGH siegen sollte, schwant der deutschen Wasserpolitik Furchtbares: Wenn die EU tatsächlich die Binnenschifffahrt unter die »Wasserdienstleistungen« subsumieren würde, müsste man über ein Mautsystem für die Binnenschifffahrt nachdenken. Wenn Hochwasserschutzmaßnahmen zu den »Wasserdienstleistungen« gezählt würden, wäre nicht im Entferntesten klar, wie man Hochwasserschutzmaßnahmen verursachergerecht abrechnen könne. Und wenn man Wasserkraft-Konzessionen einführen wolle, um Gelder für die Dienstleistung "Wasserkraftverstromung" abzuschöpfen, wäre dies völlig konträr zur derzeitigen EEG-Förderung. Folge: "Rechte Tasche, linke Tasche plus noch mehr Bürokratie!"

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 995
Herausgeber:
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juli 2012