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SCHADSTOFFE/044: Ist Bisphenol A im Trink- und Abwasser ein Problem? (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 944 vom 19. April 2010 - 29. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Ist Bisphenol A im Trink- und Abwasser ein Problem?


Seit etwa zwei Jahren wird heftig über die gesundheitliche Bedeutung von Bisphenol A (BPA) gestritten. Die Chemikalie ist in vielen Kunststoffen enthalten. Beispielsweise fungiert BPA als Zusatz in Polycarbonaten, aus denen nicht nur Babytrinkflaschen sondern auch großvolumige Trinkwasserspender hergestellt werden. Darüber hinaus findet sich BPA u.a. in der Innenbeschichtung von Konservendosen. BPA ist aber auch Bestandteil in Epoxidharzen, mit denen die Innenwandungen von alten Haustrinkwasser-Installationsanlagen beschichtet werden. Und beim so genannten Inlinerverfahren zur Sanierung von defekten Kanalröhren werden ebenfalls BPA-haltige Epoxidharze eingesetzt. Angeblich sollen bis zu dreißig Prozent der BPA-Produktion in den Sektor der Epoxidharzherstellung gehen. BPA steht im Verdacht, eine endokrin disruptive Wirkung zu haben, also die innere Sekretion zu stören, was wiederum bedeutet, dass der Hormonhaushalt von Tieren und Menschen aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Als empfindlichstes Lebensstadium gilt der sich entwickelnde Fötus. Bereits kleine Abweichungen in den Hormonkonzentrationen können dann zu Fehlbildungen von Organen oder Körperteilen führen. Weil die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA, European Food Savety Authority) eine sehr großzügig bemessene BPA-Aufnahme von 50 Mikrogramm BPA pro Tag und Kilogramm Körpergewicht als tolerabel erachtet, ist die EFSA inzwischen unter Beschuss von vorsichtiger eingestellten Wissenschaftlern geraten. Die LINKS-Fraktion im Deutschen Bundestag hatte sich in den letzten zwei Jahren mit einer ganzen Staffel von Anfragen nach der gesundheitlichen Relevanz von Bisphenol A erkundigt (s. die diesbezüglichen Antworten der Bundesregierung in den BT-Drs. 16/5405, 6533, 10759, 13104). Ob BPA auch im Trinkwasser und im Abwasser ein Problem darstellen könnte, wollte die LINKE in der Anfrage 16/14082 wissen. Die wesentlichen Ergebnisse der Antwort der Bundesregierung vom 16.10.2009 werden nachfolgend zusammengefasst.


"Kein BPA-Problem bei fachgerechter Innenrohrbeschichtung"

Die Freisetzung von BPA aus Hausinstallationsanlagen, die mit Epoxidharz beschichtet wurden, erachtet die Bundesregierung als unproblematisch. Höhere BPA-Konzentrationen seien nur in zwei Ausnahmefällen bekannt geworden - und zwar mit max. 37 Mikrogramm pro Liter (µg/l) und mit max. 280 µg/l. Sehr wahrscheinlich sei in letzterem Fall die Innenrohrsanierung nicht nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik ausgeführt oder betrieben worden. Die Verwendung des BPA-belasteten Wassers zum Trinken und zur Zubereitung von Speisen sei in diesem Fall von der zuständigen Vollzugsbehörde der Stadt Köln untersagt worden. Die Bundesregierung unterstreicht im Hinblick auf den Kölner Extremfall, dass bei fachgerechter Auswahl und Aufbringung des Beschichtungsmaterials sowie bei fachgerechtem Betrieb der sanierten Installation "zuverlässig" davon ausgegangen werden könne, dass entsprechend § 17 Abs. 1 der Trinkwasserverordnung BPA nur in so geringen Konzentrationen ins Trinkwasser gelange, dass eine Gefährdung der menschlichen Gesundheit auszuschließen sei. Leitlinien des Umweltbundesamtes (UBA) würden diese Anforderung "auf der Basis einer freiwilligen Anwendung durch die Hersteller" konkretisieren.


Innenrohrbeschichter sollen künftig zertifiziert werden

Im Zusammenhang mit einer sicheren Verwendung von Epoxidharzen in der Trinkwasserinstallation verweist die Bundesregierung auf die "Beschichtungsleitlinie" des UBA, in die nur als sicher getestete Harze aufgenommen würden. Außerdem kündigt die Regierung an, dass künftig "eine praxisgerechte Zertifizierungsgrundlage (...) eine fachgerechte Durchführung einer Innenbeschichtung" im Rahmen des Regelwerkes der Deutschen Vereinigung des Gas- und Wasserfaches (DVGW) sicherstellen solle. Hierfür würden derzeit drei technische Standards erarbeitet, die es in Zukunft ermöglichen sollen, sowohl die Beschichtungsverfahren als auch die ausführenden Firmen zu zertifizieren. [Anmerkung unsererseits: Im DVGW stößt das Zertifizierungsprojekt nicht auf ungeteilte Zustimmung. In alten verwinkelten Hausinstallationen mit unterschiedlichen Rohrdurchmessern, Stutzen, Engstellen und toten Leitungen sei eine saubere Epoxidharzbeschichtung gar nicht möglich. Der DVGW solle die Finger von einem Verfahren lassen, das in vielen Fällen eben nicht sach- und fachgerecht praktiziert werden könne - und schon gar nicht von vielen kleinen Krautern, die sich im Bereich der Sanierung von Hausinstallationen tummeln würden.]


Epoxidharzbeschichtung: "Keine Gefährdung der aquatischen Umwelt"

Die Bundesregierung schreibt in ihrer Antwort weiter, dass ihr keine Angaben über die Verbreitung der Epoxidharzbeschichtung in Trinkwasserinstallationen sowie bei der Inliner-Sanierung von Kanalisationen vorliegen. Insofern sei ihr eine Einschätzung der daraus erfolgenden Freisetzung von BPA in die aquatische Umwelt sowie eine Einschätzung der Gefährdung aquatischer Organismen "zur Zeit nicht möglich". Gleichwohl geht die Bundesregierung davon aus, dass "anzunehmen" sei, "dass dieser Expositionspfad für aquatische Organismen im Vergleich zu anderen Pfaden eine untergeordnete Rolle" spiele. Die relevantesten Quellen für den Eintrag von BPA in die aquatische Umwelt seien "nach derzeitigem Kenntnisstand BPA-produzierende und - verarbeitende Unternehmen sowie die Verwendung und Verarbeitung von Recyclingpapier und die damit verbundene Belastung über Kläranlagen". In ihrer Antwort widerspricht die Bundesregierung ferner der Behauptung, dass rund 200 Tonnen Bisphenol A über Abwasser in die europäischen Gewässer eingetragen würden. Aufgrund einer britischen Risikobewertung geht die Bundesregierung davon aus, dass es nur etwa 20 Tonnen pro Jahr wären. Aber selbst wenn man von 200 Tonnen ausgehen würde, würde dies in den Gewässern zu so minimalen Konzentrationen führen, dass "aus der Sicht der deutschen Bewertungsbehörden" von einer Gefährdung aquatischer Organismen nicht auszugehen sei. Obwohl die Bundesregierung einräumt, dass über die Freisetzung von BPA in die aquatische Umwelt wenig belastbare Fakten vorhanden sind, sieht die Regierung keine Veranlassung, "hierzu gezielt Forschungsvorhaben in Auftrag zu geben".


Trinkwasserkommission: Kein BPA-Problem im Trinkwasser

Die Trinkwasserkommission beim Umweltbundesamt hat auf ihrer Sitzung am 9. Dez. 2009 unter TOP 6 ebenfalls über "Neue Aspekte zur toxikologisch-hygienischen Bewertung von Bisphenol A (BPA) im Trinkwasser" diskutiert. Die Debatte basierte auf einem internationalen, vom UBA organisierten BPA-Fachgespräch im März 2009. Dabei habe es sich gezeigt, "dass Hinweise auf die Möglichkeit von hormonähnlichen BPA-Wirkungen im Niedrigdosisbereich einer weiteren Klärung bedürfen und dass eine möglicherweise zu hohe Aufnahme von BPA durch bestimmte Risikogruppen (Frühgeborene, Formulaernährte Säuglinge, Schwangere) bis auf weiteres vorsorglich vermieden werden könne und sollte, wenn dies politisch gewollt werde", heißt es etwas gestelzt und ziemlich gewunden in dem Protokoll der Sitzung. Für Trinkwasser hätte dies allerdings nur dann Konsequenzen, wenn Trinkwasser ein relevanter Expositionspfad für BPA wäre. Dies ist allerdings nach UBA-Auffassung nicht der Fall. Das Protokoll der Sitzung stellt hierzu fest, dass aus Sicht des UBA die bisherigen Untersuchungsergebnisse folgende Abschätzung der BPA-Konzentrationen im Trinkwasser aus mit Epoxidharz beschichteten Trinkwasser-Installationen erlauben würde:

- Im kalten Trinkwasser sei mit BPA-Konzentrationen von unter einem Mikrogramm pro Liter (µg/l) zu rechnen,
- in erwärmtem Trinkwasser (bis 70 °C) könnten BPA-Konzentrationen von bis zu 30 µg/l vorkommen,
- mit Konzentrationen über 30 µg/l BPA sei grundsätzlich bei Wassertemperaturen über 70 °C zu rechnen.



Das Fazit der Trinkwasserkommission:

"Frisch abgelaufenes Trinkwasser - erwärmt oder nicht - liefert selbst dann, wenn es aus Trinkwasser-Installationen entnommen wird, die sach- und fachgemäß mit Epoxidharz beschichtet wurden, keinen nennenswerten Beitrag zur Gesamtexposition an BPA."

Die Trinkwasserkommission hatte auch beratschlagt, ob es sinnvoll sei, einen Leitwert für BPA im Trinkwasser zu definieren. Ratsam sei dies derzeit aber (noch) nicht:

"Auf Grund des umstrittenen EFSA-Wertes und der komplexen Datenlage im Niedrigdosisbereich ist derzeit kein wissenschaftlich abgeleiteter gesundheitlicher Höchstwert für BPA im Trinkwasser (Leitwert oder Richtwert) zu benennen. Für die Bewertung der in der Fachwelt diskutierten endokrin disruptiven Wirkung von BPA und vielen anderen Stoffen existiert noch kein fachlich anerkanntes Konzept", hält das Protokoll als Schlussfolgerung der BPA-Debatte in der Trinkwasserkommission fest.


Die Protokolle der Sitzungen der Trinkwasserkommission ...

... werden auf einer Unterseite der Homepage des Umweltbundesamtes veröffentlich. Einfach in eine Suchmaschine die Begriffe "Trinkwasserkommission Umweltbundesamt" eintippen - und man landet über den ersten Treffer auf der Seite der Trinkwasserkommission. Dort findet sich dann im unteren Bereich der Link zu den Protokollen.


Unsere megadicke Materialsammlung über die schlagzeilenträchtigen "Pseudohormone" (Substanzen mit endokrin-hormoneller Wirkung auf Wasserlebewesen) informiert über die entsprechende Debatte von den 80er Jahren bis heute. Bezug gg. Voreinsendg. v. 15 (V-Scheck, Briefm. Bar) an den Ak Wasser, Rennerstr. 10, 79106 Frbg.


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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 944/2010
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2010