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SCHADSTOFFE/114: Wie gefährlich ist Chrom[VI] im Trinkwasser? (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 1042, vom 30. Juli 2014, 33. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Wie gefährlich ist Chrom[VI] im Trinkwasser?



Nachdem in den USA bereits seit einigen Jahren die gesundheitliche Relevanz der Aufnahme des sechswertigen Chroms über den Trinkwasserpfad als Krebsrisiko diskutiert wird, haben in Deutschland auch das Umweltbundesamt, die Trinkwasserkommission, das Bundesgesundheitsministerium, die obersten Gesundheitsbehörden der Länder sowie der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) das Thema aufgegriffen.

Das UBA hat im Jahr 2012 ein Gutachten in Auftrag gegeben, um alle verfügbaren Daten über die Krebs auslösende Wirkung von Chrom[VI] zusammenstellen zu lassen und zu bewerten. Zum Inhalt des UBA-Gutachtens und zur Download-Möglichkeit siehe nächste Notiz. Aus der Risikobetrachtung ergibt sich, dass für das sechswertige Chrom (Cr[VI]) aufgrund des möglichen Krebsrisikos ein Leitwert von 0,3 Mikrogramm pro Liter (µg/l) festgelegt werden müsste. [Zum Vergleich: Für Pestizide liegt der Vorsorgewert bei 0,1 µg/l, für Uran wurde ein Grenzwert auf 10 µg/l festgelegt.] Bislang gibt es in der Trinkwasserverordnung einen Grenzwert nur für Gesamtchrom. Dieser Grenzwert, der insbesondere auf das deutlich weniger toxische Chrom[III] ausgerichtet ist, liegt bei 50 µg/l. Bei den Trinkwasserversorgern und bei den Behörden ist man bemüht, einer Skandalisierung des Chrom[VI]-Problems vorzubeugen. Das Kommunikationsproblem besteht darin, dass noch völlig unklar ist, bei wie vielen Wasserversorgern der angedachte Leitwert nicht eingehalten wird (dazu mehr in der übernächsten Notiz).

Um die Risikokommunikation in sachgerechte Bahnen zu lenken, hat das UBA eine Schlimmste-Fall-Betrachtung durchführen lassen: Die Worst-Case-Betrachtung geht davon aus, dass die gesamte Bevölkerung Deutschlands von rund 80 Millionen Menschen dauerhaft und ausschließlich mit Trinkwasser versorgt würde, das Cr[VI] in Höhe von 25 µg/L enthalten würde. Dies entspräche der Hälfte des derzeitigen Grenzwerts für Gesamtchrom von 50 µg Cr/l. Unter dieser irrealen Voraussetzung würde gemäß der im UBA-Gutachten vorgeschlagenen Expositions-Risiko-Beziehung langfristig mit einem Lebenszeitrisiko für eine Cr[VI]-bedingte Krebserkrankung in Höhe von 1:10.000 = 0,01% zu rechnen sein. Dies würde rechnerisch 89 zusätzlichen Krebserkrankungen und einer jährlichen Anzahl von 54 expositionsbedingten Krebstodesfällen entsprechen. Zum Vergleich: Jährlich erkranken rund 18.000 Menschen neu an Magenkrebs. 2006 sind in Deutschland rd. 11.000 Menschen an Magenkrebs gestorben. Das UBA-Gutachten kommt zum Fazit, dass in diesem Szenario "jährlich mit Krebsneuerkrankungen in der Größenordnung von 90 Fällen zu rechnen" wäre, "welche ohne Cr[VI] im Trinkwasser nicht aufgetreten wären". Die vorliegenden Studien deuten stark auf eine lineare Expositionsrisiko-Kurve hin - daraus ergibt sich der Vorschlag für den genannten ultraniedrigen Leitwert von 0,3 µg/l für Chrom[VI]. In einer Interpretationshilfe des UBA zu diesem Grenzwertvorschlag wird auch der 0,3-Mikrogramm-Wert einer theoretischen Risikobetrachtung zu Grunde gelegt. Danach müsste man mit einem zusätzlichen Krebsfall unter einer Million Menschen rechnen, die ihr Leben lang (rechnerisch 70 Jahre) zwei Liter Wasser trinken, das Cr[VI] in einer Konzentration von 0,3 µg/l enthält. Weiter wird ausgeführt: "Kämen im gesamten Trinkwasser in Deutschland überall 0,3 µg/l Cr [VI] vor und würde jeder Einwohner zwei Liter pro Tag davon trinken, würde dies für die in Deutschland lebende Bevölkerung von rund 80 Millionen Menschen rechnerisch weniger als einen zusätzlichen Krebsfall pro Jahr (unter den insgesamt rund 477.000 neuen Krebsfällen in Deutschland) bedeuten."


Der Inhalt des Chrom[VI]-Gutachtens

Für diejenigen, die sich genauer über das Chrom[VI]-Problem informieren wollen, präsentieren wir hier das Inhaltsverzeichnis des UBA-Gutachtens "Potentielle Schädlichkeit von Chrom im Trinkwasser - Einordnung der epidemiologischen Befunde zum Krebsrisiko nach Exposition von Populationen gegenüber Chrom[VI] im Trinkwasser und Vorschlag zur Ableitung einer Expositions-Risikobeziehung", erstellt von Dr. MARKUS ROLLER vom Dortmunder Beratungsbüro für Risikoabschätzung:

  • 1. Einleitung
  • 2. Hintergrund
  • 2.1 Lungenkrebsrisiko des Menschen nach Exposition gegenüber Chrom in der Luft am Arbeitsplatz
  • 2.2 Lungentumorrisiko von Ratten nach Inhalation von Chrom[VI]
  • 2.3 Tumorrisiko von Ratten nach Exposition gegenüber Chrom[VI] im Trinkwasser
  • 2.4 Tumorrisiko von Mäusen nach Exposition gegenüber Chrom[VI] im Trinkwasser
  • 2.5 Quantitative Risikoabschätzung anhand der Daten nach Exposition von männlichen Mäusen gegenüber Chrom[VI] im Trinkwasser
  • 2.5.1 Expositions-Risikobeziehung für die beiden bei NTP (2008) aufgeführten Dosismaße
  • 2.5.2 Quantitative Risikoabschätzung unter Anwendung unterschiedlicher Speziesextrapolationen
  • 3. Epidemiologische Daten zum Krebsrisiko nach oraler Cr[VI]-Aufnahme
  • 3.1 Epidemiologische Studien zur Trinkwasserexposition in China
  • 3.1.1 Rekonstruktion der Datenlage und des Studienhergangs
  • 3.1.2 Bewertung der Daten von Beaumont et al. (2008) sowie Kerger et al. (2009a) 30
  • 3.1.3 Mögliche Expositions-Risikobeziehungen aufgrund der chinesischen Daten
  • 3.2 Epidemiologische Studien zur Trinkwasserexposition in Griechenland
  • 3.3 Krebsrisiko (außer Lungenkrebs) nach inhalativer Exposition
  • 4. Wirkungsmechanismus und Problematik wissenschaftlicher Unsicherheiten im bewertungsrelevanten Bereich
  • 5. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
  • 6. Literatur

Das Gutachten enthält zudem einen umfangreichen Anhang - insbesondere zur Statistik von Chrom-VI-bedingten Krebserkrankungen sowie zur Interpretation der vorliegenden Studien zur Krebsrelevanz von Chrom[VI], das über Trinkwasser aufgenommen wird. Das 2012 in Auftrag gegebene UBA-Gutachten ist seit Mai 2014 unter [1] http://www.umweltbundesamt.de/dokument/gutachten-zur-potentielle-schaedlichkeit-von-chrom herunterladbar.


Chrom[VI] - schwierige Analytik, schwierige Ethik

Bereits in einem Rundschreiben vom 28.04.14 hatte der DVGW seine Mitgliedsunternehmen auf die bevorstehende Veröffentlichung des UBA-Gutachtens aufmerksam gemacht. In seinem Rundschreiben weist der DVGW unter anderem auf die analytischen Schwierigkeiten hin, falls der angedachte Leitwert von 0,3 µg/l für Chrom[VI] in die Trinkwasserverordnung übernommen werden sollte. Denn für die Bestimmung von Gesamtchrom liege die Bestimmungsgrenze des Norm-Analyseverfahrens bei 5 µg/l. Da es noch keine Übersicht über die Chrom[VI]-Konzentrationen in Roh- und Trinkwässern der deutschen Trinkwasserversorger gibt, appelliert der DVGW an seine Mitgliedsunternehmen, Messungen durchführen zu lassen. Die Analyseergebnisse sollten umgehend an das UBA weitergemeldet werden. Denn erst auf Grund einer bundesweiten Übersicht und einer "breiten Informationsgrundlage" werde es möglich sein, "die Ursachen erhöhter Konzentrationen zu beurteilen". Dann könnte noch fundierter darüber nachgedacht werden, ob es tatsächlich notwendig sei, einen Leitwert von 0,3 µg/l in die Trinkwasserverordnung aufzunehmen. Zudem sei man als Wasserversorger mit eigenen Analyseergebnissen gewappnet, falls man mit Chrom-Anfragen konfrontiert werde. Vor dem Hintergrund der laufenden Diskussionen in der Fachwelt hat der DVGW zudem ein weiteres - jüngst angelaufenenes - Forschungsvorhaben mit dreijähriger Laufzeit zur Chrom[VI]-Problematik beim Karlsruher Technologie-Zentrum Wasser (TZW) in Auftrag gegeben. In dem Forschungsvorhaben soll u.a. geklärt werden, "ob unter technischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten ein Rückhalt von Chrom[VI] bei der Aufbereitung überhaupt möglich ist (betrieblicher und finanzieller Aufwand, Entsorgung der Rückstände)". Damit wird im DVGW-Rundschreiben indirekt die sowohl ökonomisch wie ethisch heikle Frage angesprochen, ob es sich zur Vermeidung von einem zusätzlichen Krebstoten auf eine Million Trinkwasserkonsumenten überhaupt »lohnt«, kostenaufwendige Vermeidungsmaßnahmen zu starten. Ein früheres Forschungsvorhaben hat viele Fragen offengelassen - so konnte beispielsweise nicht geklärt werden, ob oxidative Verfahren in der Trinkwasseraufbereitung die Bildung von Chrom[VI]-Ionen begünstigen.

Weitere Auskunft zu den Bemühungen des DVGW, die Trinkwasserrelevanz des sechswertigen Chroms in den Griff zu bekommen bei:
DVGW, Bonn - Frau Dr. Karin Gerhardy
Tel.: 0228/9188-653
E-Mail: Gerhardy@dvgw.de

[1] http://www.umweltbundesamt.de/dokument/gutachten-zur-potentielle-schaedlichkeit-von-chrom

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1042
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2014