Schattenblick →INFOPOOL →UNTERHALTUNG → KOCHEN

MÄRCHENKOCH - SUPPE/005: Gemüsesuppe mit Pfannkuchenstreifen (SB)


DIE MOORMUHME


Es war einmal ein Torfstecher, der lebte mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter am Rande eines großen Moors. Das Kind war seiner Frau und ihm so lieb, daß sie es nicht um alles Gold der Welt hergegeben hätten. Wenn es einmal nicht genug zu essen gab, verzichteten Vater und Mutter auf ihr Teil, damit wenigstens das kleine Mädchen satt hatte.

Das Kind, das den Namen Katrinchen trug, wußte ihre Liebe reichlich zu belohnen, denn es war stets frohgemut und guter Dinge und half ihnen auch bald bei allerlei Verrichtungen. Die guten Leute hatten nur eine Sorge wegen dem Kind, und das war das dunkle, tiefe Moor.

"Lauf niemals in das Moor hinein, denn dann fängt dich die Moormuhme und stößt dich in ein Sumpfloch!" sagte der Vater oft warnend zu Katrinchen.

Solange das Mädchen klein war, fürchtete sie sich sehr vor der Moormuhme und wagte sich nicht zu dicht an das dunkle Moor heran. Doch als sie schon etwas größer war, begegnete ihr eines Abends ein Spielmann, der mit seiner Geige im Dorf zum Tanz aufgespielt hatte. Er wollte noch vor Einbruch der Dunkelheit in das nächste Kirchspiel gelangen und strebte nun dem Moor zu, weil der Weg, der mitten hindurchführte, der kürzeste war.

"Hast du gar keine Angst, daß die Moormuhme dich in den Sumpf stößt?" fragte Katrinchen ihn verwundert, als sie gewahr wurde, daß er den Weg durchs Moor einschagen wollte.

"Wo werd ich denn", lachte der Spielmann und fiedelte eine lustige Melodie. "Weißt du denn gar nicht, daß die Moormuhme dich auch reich machen kann? Ich für mein Teil wäre froh, ihr einmal zu begegnen."

"Mein Vater sagt, sie zieht einen an den Haaren in den schwarzen Sumpf hinab, so daß einen niemand mehr finden kann", versicherte Katrinchen ihm treuherzig.

"Das mag wohl stimmen", gab der Spielmann zu, "doch das geschieht nur, wenn du die Suppe, die sie dich kochen heißt, nicht zur Zeit fertig hast. Die Moormuhme nimmt dich mit in ihre Hütte und läßt dich dort die Suppe für die finsteren Moorkerle kochen. Und wem es gelingt, genau um Mitternacht den Moorkerlen ihre Suppe zu servieren, der wird von der Muhme mit allen Schätzen belohnt, die über die Jahre im Moor versunken sind. Wenn aber die Suppe nicht rechtzeitig fertig ist, wird man von der Muhme gepackt und muß den düsteren Moorkerlen in den schwarzen Sumpf folgen."

Katrinchen hatte dem Spielmann mit großen Augen zugehört und sah ihm noch lange nach, bis er auf dem schmalen Weg schließlich im mannshohen Röhricht verschwand.


*


Im Jahr darauf kam eine große Not über das Land, so daß auch der Torfstecher bald für seine Familie nicht mehr sorgen konnte. Katrinchens Eltern versuchten wohl, vor der Tochter ihre Verzweiflung zu verbergen, doch das Mädchen war viel zu verständig, um sich lange täuschen zu lassen. Jeden Tag dachte sie darüber nach, wie sie den armen Eltern helfen könnte. Schließlich fiel ihr wieder ein, was der Spielmann von der alten Moormuhme gesagt hatte. Und als sie eines abends die Mutter vor Kummer weinen hörte, weil sie nicht mehr ein einziges Stückchen Brot hatten, stand ihr Entschluß fest.

Sie schrieb den Eltern eine Nachricht, daß sie gleich am anderen Morgen zurückkehren würde und dann alle Not ein Ende hätte. Nachdem dies geschehen war, schlich sie sich leise zur Hintertür hinaus, nahm all ihren Mut zusammen und folgte dem schmalen Weg, der ins Moor führte.

Die Sonne war schon untergegangen und durch das hohe Schilf huschten allerlei Schatten, während es im lauen Abendwind wisperte und raschelte. Die schwarzen Sumpflöcher glucksten dazu, als wären sie jetzt schon begierig darauf, Katrinchen zu verschlingen.

Das Mädchen mußte sich dazu zwingen, nicht wieder umzukehren. Es hatte den Blick gerade zur Seite gewandt und schaudernd in ein tückisches, glucksendes Sumpfloch geblickt, als aus dem Röhricht eine steinalte Frau vor sie hintrat. Die Alte trug einen Umhang aus schwarzem Tuch und sah auch sonst recht düster aus. Ihre Stimme klang so trocken als würde der Wind durch das Schilf rascheln.

"Was führt dich zu mir, mein Kind?" fragte sie und musterte das Mädchen mit ihren schwarzen Augen, die wie tiefe Sumpflöcher aussahen.

"Ich bin gekommen, um für die Moorkerle die Suppe zu kochen, denn ich möchte meinen Eltern, die nicht mehr ein und aus wissen, aus ihrer Armut helfen", erwiderte Katrinchen zaghaft.

"Die Sache ist nicht so einfach, wie es klingt", kicherte die Moormuhme. "Aber wenn ich nach Ablauf der Nacht mit dir zufrieden bin, will ich dich reich belohnen."

So folgte Katrinchen denn der Alten auf geheimen Pfaden durch das Moor bis zu ihrer Hütte, die ganz aus Torfsoden und Schilfrohr gebaut war. In der Mitte der Hütte befand sich ein gußeiserner Herd, auf dem ein riesiger Kochtopf stand.

An der hinteren Wand der Hütte aufgereiht standen grobgeflochtene Weidenkörbe, die mit allerlei Gemüse und frischen Kräutern gefüllt waren. Selbst ein Säckchen mit Mehl und ein Korb frischer Eier fehlte nicht. Katrinchen machte große Augen, denn solch einen Reichtum hatte sie in der armseligen Hütten nicht vermutet.

"Du kannst dich gleich ans Werk machen und das Gemüse putzen", sagte die Alte zu Katrinchen. "Aus dem Mehl und den Eiern mußt du Pfannekuchen backen, die schneidest du später in die Suppe hinein. Aber wehe dir, wenn du auch nur einen halben Löffel voll kostest. Dann wird es dir übel ergehen." Mit dieser Ermahnung ließ die Moormuhme Katrinchen allein.

Das Mädchen machte sich sogleich an die Arbeit und war lange vor Mitternacht schon mit der Suppe fertig. Der köstliche Duft durchzog verführerisch die kleine Hütte. Katrinchen hatte den ganzen Tag erst ein trockenes Stück Brot gegessen und nun plagte sie gewaltig der Hunger. Sie konnte sich kaum bezwingen, den Löffel nicht in die Suppe zu stecken und ein wenig zu kosten. Als es schon bald Mitternacht war, dachte sie bei sich: Wenn ich nur den Rührlöffel abschlecke, kann es mir so übel nicht ergehen. Es ist ja so, als hätte ich gar nicht gekostet.

Gerade wollte sie den großen Holzlöffel aus der Suppe ziehen, da erklang draußen vom Sumpf her leise das Spiel einer Geige. Es war eine beschwörende Melodie, gerade wie eine Warnung vor einem bevorstehenden Unheil. Katrinchen wurde ganz eigen zumute und sie ließ den Löffel wieder zurück in den Topf gleiten.

Wenig später vernahm sie die platschenden Schritte der Moorkerle, die aus den Tiefen des schwarzen Moors heraufkamen, um sich ihre Suppe zu holen. Wäre es nicht um das Wohl ihrer armen Eltern gegangen - Katrinchen hätte vor den garstigen Gesellen Reißaus genommen. So aber bezwang sie ihre Furcht und füllte jedem seinen Teller, der ihr von schlammschwarzer Hand hingestreckt wurde. Als der letzte an der Reihe war, bemerkte Katrinchen, daß er eine über und über mit Schlamm bespritzte Geige unter dem Arm trug. Zaghaft hob sie den Kopf, den sie bisher beharrlich gesenkt hatte, um den Moorkerlen nicht in ihre grünlich leuchtenden Augen sehen zu müssen.

Doch als sie diesen einen anblickte, erkannte sie in seinen bleichen Zügen den Spielmann wieder, der ihr erzählt hatte, daß die Moormuhme einen reich machen könne.

"Sieh nur, was aus mir geworden ist", sagte er mit dumpfer Stimme zu Katrinchen. "Ich bin an jenem Abend noch der Moormuhme begegnet und wollte mir die Belohnung verdienen. Ich habe auch eine gute Suppe gekocht, aber ich konnte mich nicht bezwingen und habe davon ein Löffelchen gekostet. Danach war es um mich geschehen und ich mußte die ganze Suppe aufessen, so daß um Mitternacht nichts mehr davon übrig war."

"Dann warst du es also, der die Geige gespielt hat?" fragte Katrinchen ahnungsvoll.

"Ja, das war ich, denn ich wollte dich warnen. Schließlich bist du nur hierher gekommen, weil ich dir von dem Reichtum erzählt habe, mit dem die Moormuhme jeden belohnt, der pünktlich zur Mitternachtsstunde die Suppe fertig hat. Jetzt weiß ich, daß jeder Mensch aus Fleisch und Blut an dieser Aufgabe scheitern muß. Daß es dir nicht so ergangen ist, soll meine Rache an der Moormuhme sein. Denn nun muß sie dir deinen Lohn auszahlen."

Mit diesen Worten wandte der Spielmann sich um und folgte mit schweren Schritten den anderen Moorkerlen in die Finsternis hinaus.

Bald darauf kam die Moormuhme hereingeschlurft. Sie wußte schon, was sich zugetragen hatte und befahl dem Mädchen, ihr zu folgen. Auf verschlungenen Pfaden gingen sie durch die Dunkelheit, bis sich das Schilf an einer Stelle lichtete. Im Mondschein sah Katrinchen glitzerndes Geschmeide und glänzende Goldmünzen aufgehäuft im Grase liegen.

"Warte hier, bis die Sonne aufgegangen ist. Dann kannst du deinen Lohn nach Hause tragen", sagte die Moormuhme mit ihrer wie trockenes Schilf raschelnden Stimme und verschwand im Röhricht, ohne sich noch einmal umzublicken. Katrinchen aber wickelte im Morgengrauen die Schätze in ihre Schürze und machte sich frohgemut auf den Heimweg.

Die Eltern hatten noch gar nicht bemerkt, daß sie fort gewesen war. Doch als Katrinchen ihnen von ihrem Erlebnis erzählte, schlugen sie vor Entsetzen die Hände über dem Kopf zusammen. Aber dann freuten sie sich, daß alles so glimpflich verlaufen war. Erst danach warfen sie einen Blick auf den Schatz, den Katrinchen in ihrer Schürze trug. Nun war es mit der Armut für immer vorbei. Sie kauften sich ein schmuckes Häuschen mitten im Dorf und führten ein sorgenfreies Leben.

Und wenn Katrinchen wieder in die Nähe des Moores kam, dann lauschte sie jedes Mal, ob sie nicht ganz leise den wehmütigen Klang einer Geige vernahm.


*


GEMÜSESUPPE MIT PFANNKUCHENSTREIFEN
(für 2-3 Personen)

Für die Suppe:

1 Zwiebel
300 g Möhren
300 g Kohlrabi
1 Stange Porree
1,5 l Wasser
2 TL Brühepulver
Salz
Pfeffer
etwas Margarine

Für die Pfannkuchenstreifen:

2 Eier
4 EL Mehl
3 EL Milch
1 Bund Schnittlauch, in Röllchen geschnitten
1 Prise Salz
etwas Margarine zum Braten


*


Zubereitung der Suppe

Die Zwiebel würfeln und mit einer Prise Pfeffer in etwas Margarine glasig dünsten. Dann das Wasser angießen, das Brühepulver und etwas Salz hineingeben und zum Kochen bringen.

Die Möhren waschen und in Scheiben schneiden (geht auch mit der Gurkenreibe).

Den Kohlrabi schälen und würfeln.

Den Porree waschen und in mundgerechte Stücke schneiden.

Das Gemüse in den Topf geben und 8-10 Minuten köcheln lassen.

Inzwischen die Pfannkuchenstreifen vorbereiten:

Die Zutaten gut miteinander verquirlen und in einer Pfanne die Margarine erhitzen. Aus dem Teig dünne, hellgelbe Pfannkuchen braten. Etwas abkühlen lassen und in Streifen schneiden.

Die Streifen in die Suppe geben, untermischen und die Suppe servieren.


Erstveröffentlichung am 25.04.1998

10. August 2007