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MÄRCHENKOCH - SUPPE/007: Spinatsuppe mit knusprigen Käsetalern (SB)


DER TÖRICHTE WUNSCH


Es war einmal ein Mädchen namens Lisa, das war in einem Zauberwald zur Welt gekommen. Lisas Mutter, eine herumziehende Korbflechterin, hatten damals mitten in diesem Wald die Geburtswehen überrascht und die Waldfrau, die dort in den Schatten der Bäume lebte, war herbeigeeilt und hatte ihr in der schweren Stunde zur Seite gestanden. Als die Waldfrau schließlich das Neugeborene in den Armen hielt, versprach sie der Korbflechterin:

"Dieses Mädchen soll mein Patenkind sein und ich werde ihm einen Wunsch erfüllen, sobald es sein achtzehntes Lebensjahr erreicht hat."

Daraufhin hatte die Waldfrau der Korbflechterin das Kind in den Arm gelegt und war so lautlos verschwunden, als hätten die Schatten der Bäume sie verschluckt.


*


So begab es sich, daß Lisa, nachdem achtzehn Jahre verstrichen waren, wieder den Zauberwald betrat. Lange hatte sie nachgedacht und manchen leichtfertigen Wunsch wieder verworfen, bis sie schließlich zu einer Überlegung gelangt war, die ihr überaus klug erschien. Voller Erwartung stand sie daher im Walde unter den uralten Bäumen und hielt nach der Waldfrau Ausschau, als ihr diese plötzlich aus dem Schatten einer Erle entgegentrat.

"Nun, hast du dir auch alles gut überlegt?" fragte die Zauberin mit dunkler Stimme. "Schließlich kann ich dir nur einen einzigen Wunsch erfüllen."

"Ja", erwiderte Lisa ohne Zögern, weil sie sich ihrer Sache ganz sicher war. "Ich wünsche mir die Fähigkeit, die Gedanken eines jeden Menschen lesen zu können, so daß niemand mehr etwas vor mir verbergen kann."

"Mein liebes Kind", sprach daraufhin die Waldfrau und schüttelte beinah bekümmert den Kopf, "das ist ein sehr törichter Wunsch. Wenn ich ihn dir erfülle, wird diese Fähigkeit wie ein Fluch auf dir lasten und du wirst den Tag bedauern, an dem du ihn ausgesprochen hast. Laß mich dir lieber etwas schenken, das dich glücklich macht."

Lisa aber glaubte den Worten der weisen Frau nicht. "Du hast versprochen, mir meinen Wunsch zu erfüllen", beharrte sie trotzig, denn sie konnte sich durchaus nicht vorstellen, weshalb ihr Wunsch so töricht sein sollte. Schließlich konnte es einem Menschen große Macht verleihen, die Gedanken der anderen zu kennen. Um die Waldfrau umzustimmen, fügte sie daher noch vorwurfsvoll hinzu: "Meine Mutter hat mir beigebracht, daß man ein Versprechen immer halten muß, auch wenn es schwer fällt."

"Wenn du auf meinen Rat nicht hören willst und so sehr auf deinem Wunsch beharrst", unterbrach da die Waldfrau ihre Gedanken, "dann werde ich zu meinem Wort stehen und ihn dir erfüllen. Sieh also zu, wie du damit fertig wirst."

Sprach's und glitt wieder in den Schatten der Erle. So sehr Lisa auch suchte und nach ihr rief, die Waldfrau war nirgends mehr zu finden. Enttäuscht machte Lisa sich auf den Heimweg und nahm sich unterwegs vor, ihren Verlobten Franz zu besuchen, einen Bauernsohn aus der Nachbarschaft, der im vergangenen Frühjahr um ihre Hand angehalten hatte, obgleich sie als Tochter einer Korbflechterin nicht mehr als ein paar starke Arme mit in die Ehe bringen konnte.


*


Schon von weitem sah sie Franz auf dem Feld stehen und winkte ihm fröhlich zu. Er ließ auch gleich die Hacke fallen und kam ihr entgegengeeilt. Doch was war das? Lisa sah zwar sein strahlendes Gesicht, doch dahinter konnte sie erkennen, daß er in Wirklichkeit über ihren Besuch gar nicht erfreut war.

"Das hat mir noch gefehlt, daß sie mir jetzt schon bis aufs Feld nachrennt", las sie seine Gedanken in unerbittlicher Klarheit. "Dann wird sie mich bald dabei ertappen, wie ich mit den Mägden herumpussiere."

Vor Schreck über das, was sie da sah, stand Lisa wie erstarrt.

"Wenn wir erst verheiratet sind", spann Franz noch im Laufen seine Gedanken weiter, "mache ich ohnehin, was mir gefällt. Hauptsache, ich habe eine arbeitsame Frau im Haus, so daß ich mich um die Wirtschaft nicht zu kümmern brauche. Und dazu ist mir die Lisa gerade recht. Sie ist gewöhnt zu arbeiten und stellt keine großen Ansprüche." Das Lachen von Franz wurde noch breiter, als er ihr schließlich gegenübertrat.

Lisa aber schaute ihn nur aus entsetzt aufgerissenen Augen an. "Jetzt glotzt sie wie ein Karpfen", dachte Franz, trug jedoch eine besorgte Miene zur Schau. Aber schon im nächsten Augenblick hatte Lisa ihm eine schallende Ohrfeige verpaßt.

"So hast du dir das also gedacht", fauchte sie ihn an, "schuften soll ich für dich, damit du dich in aller Ruhe amüsieren kannst. Da hast du dich bei mir aber verrechnet!" Und noch ehe er etwas erwidern konnte, war sie über das Feld davongerannt.

Das also dachte Franz, an dessen ehrlicher Liebe sie bisher nie gezweifelt hatte, in Wahrheit. Wie dumm kam sie sich jetzt vor, weil sie ihm jedes seiner schönen Worte geglaubt hatte. Beinahe wäre sie seine Hausmagd geworden. Heiß aufschluchzend warf Lisa sich ins Gras und die Warnung der Waldfrau fiel ihr wieder ein, die vorausgesagt hatte, die Erfüllung ihres Wunsches würde sie unglücklich machen. Nun war ihr Wunsch also in Erfüllung gegangen, und das Unglück nahm bereits seinen Lauf.

Nachdem Lisa sich einigermaßen damit getröstet hatte, daß ein Mann wie Franz auch kein großer Verlust war, machte sie sich auf den Heimweg. Sicherlich wartete die Mutter schon darauf zu erfahren, was sich im Wald zugetragen hatte. Und tatsächlich, als Lisa in den Weg einbog, der zu ihrer kleinen Hütte führte, stand die Korbflechterin im Garten und hielt nach der Tochter Ausschau.

"Wie ist es dir bei der Waldfrau ergangen, mein Kind?" nahm sie Lisa an der Gartentür in Empfang. Und Lisa hörte, wie sie dabei im Stillen dachte: "Hoffentlich hat sich das einfältige Ding etwas gewünscht, das sich in klingender Münze auszahlt. Ich habe die elende Plackerei mit den Körben gründlich satt." Da schaute Lisa die Mutter so ungläubig an, daß diese besorgt feststellte:

"Du siehst ja ganz verstört aus. Was ist denn bloß geschehen? Hast du die Waldfrau getroffen?"

"Doch, doch, ich bin ihr begegnet", schluchzte Lisa nun auf, "aber mein Wunsch hat dazu geführt, daß ich mit dem Franz auseinandergekommen bin. Ich weiß nun, daß er gar nicht aus Liebe um mich angehalten hat. Und deshalb kann ich ihn auch nie und nimmer heiraten."

"Na, das wollen wir doch erst einmal abwarten", begütigte die Mutter milde. "Das wird sich sicherlich alles wieder einrenken bei euch beiden." Doch im Stillen dachte sie: "Die dumme Gans läßt sich noch die gute Partie entgehen. Was glaubt sie denn, wie viele Hoferben die Tochter einer mittellosen Korbflechterin heiraten wollen. Da ist der Franz ein wirklicher Glücksfall. Wenn er einmal den Hof übernimmt, könnte ich mich dort aufs Altenteil zurückziehen und hätte ausgesorgt. Aber das schafsköpfige Ding muß einem ja alles verderben."

"Komm mit in die Küche, damit du erst einmal etwas Warmes in den Magen bekommst", redete die Korbflechterin dann laut ihrer Tochter zu, die sie so ablehnend anschaute, als habe sie soeben ihre häßlichen Gedanken gelesen. Das es sich tatsächlich so verhielt, ahnte sie natürlich nicht, sonst hätte sie sich vielleicht doch ein wenig geschämt. So aber behandelte sie ihre Tochter mit mütterlicher Fürsorglichkeit und ließ währenddessen ihren Gedanken freien Lauf. "Da muß ich mich wohl weiter mit den Körben abplagen, um für mich sorgen zu können. Lisa aber ist eigentlich alt genug, um mir nicht länger auf der Tasche zu liegen. Wenn sie die gute Partie mit dem Franz ausschlägt, soll sie doch zusehen, wie sie ihr Brot verdient."

Lisa war kein einziger Gedanke der Mutter verborgen geblieben, die so harmlos in der Spinatsuppe rührte, die auf dem Herd köchelte und ein paar Weißbrotscheiben mit Butter bestrich, um hernach etwas Käse darüberzubröseln und sie im Ofen braunzubacken. Obgleich Lisa die Spinatsuppe ihrer Mutter sonst für ihr Leben gern aß, war ihr nun der Appetit vergangen. So also dachte die eigene Mutter von ihr. Lisa hätte es lieber nicht in dieser Deutlichkeit erfahren.

"Du hast mir noch gar nicht erzählt, was du dir von der Waldfrau gewünscht hast und ob dein Wunsch in Erfüllung gegangen ist", bemerkte die Mutter leichthin, als wäre ihr Lisas Wunsch gar nicht so wichtig. Doch Lisa zuckte nur mit den Schultern.

"Es war ein törichter Wunsch", bestätigte sie einfach die Befürchtungen der Mutter. "Es lohnt nicht, darüber zu sprechen." Für eine Weile saß Lisa schweigend am Tisch und betrachtete nachdenklich ihre Mutter, die ihr auf einmal so fremd vorkam. Doch dann sagte sie kurz angebunden:

"Ich habe unterwegs den Beschluß gefaßt, dir nicht länger lästig zu fallen und in die Welt hinauszuziehen, um mich als Dienstmagd zu verdingen." Das war so unumwunden gesagt, daß der Mutter beinahe der Teller mit den knusprig überbackenen Käsetalern heruntergefallen wäre. "Das scheint mir gerade so, als hätte sie meine Gedanken gelesen", dachte sie erschrocken, spielte aber nach außen hin die Entrüstete:

"Aber Kind, wie kannst du nur so etwas sagen! Du und mir lästig fallen, das wäre ja wohl noch schöner. Schließlich bin ich deine Mutter!"

"Mein Entschluß steht fest", ließ Lisa sich nicht weiter auf das Schauspiel ein. "Morgen früh werde ich mein Bündel schnüren, denn ich bin ja alt genug, um mir selbst mein Brot zu verdienen."

Die Mutter jammerte daraufhin noch ein wenig, daß ihr einziges Kind sie verlasse würde, fügte sie dann aber scheinbar widerstrebend dem Willen ihrer Tochter und machte sich daran, ihr noch etwas Wegzehrung einzupacken.


*


Nachdem Lisa von einigen Bauern abgewiesen worden war, hatte sie bei einer verwitweten Bäuerin eine Stelle als Dienstmagd bekommen. Selbst für jemanden, der keine Gedanken lesen konnte, war es leicht, an dem verkniffenen Gesicht der Bauersfrau abzulesen, wie unzufrieden sie war. So wunderte sich Lisa gar nicht erst darüber, daß die Bäuerin bei ihrem Anblick dachte: "Ich werde versuchen, ihr nur den halben Lohn zu zahlen, denn sie sieht aus, als wäre sie noch nie in Stellung gewesen. Vielleicht gibt sie sich sogar mit einfacher Hafergrütze zufrieden und verlangt nicht nach Brot und Butter, wie es ihr zusteht."

"Bloß weil ich jung bin, lasse ich mich noch lange nicht übers Ohr hauen", unterbrach Lisa schroff die Gedanken der Bäuerin. "Ich bin schon oft in Stellung gewesen und man kann mich nicht mit einfacher Hafergrütze abspeisen, weil ich genau weiß, daß mir Brot und Butter zustehen."

Der Bäuerin blieb vor Erstaunen der Mund offen stehen, denn es schien ihr ungeheuerlich, daß die Dienstmagd in ihren Gedanken so genau Bescheid wußte. Mit ein wenig mehr Respekt brachte sie daher hervor:

"Wer hier Dienstmagd werden will, muß sich auch um den dummen Johannes kümmern. Er ist der Sohn meiner verstorbenen Schwester und der liebe Gott hat bei der Geburt vergessen, ihm genug Verstand mitzugeben."

"Mir soll's recht sein, solange ich nur mein Auskommen und ein festes Dach über dem Kopf habe", erwiderte Lisa und hörte, wie die Bäuerin dachte: "Gut, daß ich ihr wenigstens den Dummian aufhalsen konnte." Die Bauersfrau wies Lisa an, ihr zu folgen, damit sie sich in der Dachkammer einrichten konnte. Auf der Treppe zum Dachboden, wo sich die Gesindezimmer befanden, saß ein gutaussehender junger Mann und schnitzte an einer Holzfigur.

"Mach Platz, Johannes, ich muß der neuen Magd ihre Kammer zeigen", fuhr die Bäuerin ihn barsch an.

Johannes erhob sich sogleich, doch anstelle der unwilligen Gedanken, die wohl die meisten Menschen hegen, wenn man sie so unfreundlich von ihrem Platz aufstört, las Lisa in Johannes Gemüt nicht den Anflug einer Böswilligkeit. In seinem Kopf blieb es vollkommen still. Kein Gedanke störte das wohltuende Schweigen, das Lisa bisher noch bei keinem einzigen Menschen wahrgenommen hatte. Der junge Mann mit dem ruhigen Blick kam ihr daher fast wie ein Wunderwesen vor.

"Was schaust du so, du Dummian", fuhr dagegen die Bäuerin ihren Neffen an, an dem jedoch der abschätzige Tonfall abzuperlen schien wie Wasser an einer Glasscheibe.

"Lassen Sie ihn doch. Ich werde mich gleich seiner annehmen", nahm Lisa ihn unwillkürlich in Schutz. "Schließlich ist es ja meine Aufgabe, mich um ihn zu kümmern."

Die Bäuerin war damit nur allzu einverstanden, denn sie wußte mit dem gedankenlosen Johannes nicht das geringste anzufangen. Für sie war ein Mensch nur etwas wert, wenn er ihre Befehle ausführen und tüchtig für sie arbeiten konnte.

Lisa und Johannes hingegen verband bald eine unzertrennliche Freundschaft. Wenn Lisa darunter litt, nicht nur ihre eigenen Gedanken, sondern auch noch die eines jeden anderen zu kennen, ging sie zu Johannes und fühlte sich bei ihm gleich wieder wohl. Und Johannes, der wohl nicht die Sprache des Verstandes, aber dafür die des Herzens genau verstand, weil man für sie keine Gedanken braucht, wußte, daß er für Lisa mehr als bloß ein Dummian war.

Und als die mürrische alte Bäuerin eines Tages unverhofft der Schlag rührte und der Hof an Johannes als ihren einzigen Hinterbliebenen überging, heiratete er seine Lisa und sie lebten noch recht lange in Freude und Zufriedenheit. So hatte Lisa der törichte Wunsch zu guter Letzt doch noch Glück gebracht.


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SPINATSUPPE MIT KNUSPRIGEN KÄSETALERN
(für 2-3 Personen)

Für die Suppe:

600 g frischer Spinat
2 mittelgroße Zwiebeln
1 gehackte Knoblauchzehe
60 g Butter
Pfeffer
Salz
Muskat
250 ml Milch
250 ml Sahne

Den Spinat waschen und mit dem Wiegemesser fein hacken. Die Zwiebeln fein würfeln. In einem Topf die Butter zerlassen und die Zwiebeln darin glasig dünsten. Je eine Prise Pfeffer und Muskat sowie den Knoblauch und die Spinatblätter hineingeben, einige Minuten weiterdünsten und dann Milch, Sahne und etwa 1/2 TL Salz hinzufügen. 10 Minuten bei milder Hitze köcheln lassen und danach möglichst mit dem Handmixgerät kräftig durchschlagen.


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Für die Käserösties:

ca. 300 g Stangenweißbrot in dünnen Scheiben
etwas Butter
200 g geriebenen Käse (z.B. Gouda)

Die Weißbrotscheiben dünn mit Butter bestreichen und auf ein Backblech legen. Den geriebenen Käse auf die Brotscheiben verteilen und das Brot bei ca. 200° C im vorgeheizten Backofen knusprig braun rösten.

Die fertige Spinatsuppe auf die Teller verteilen und die Käserösties auf die Suppe legen.


Erstveröffentlichung am 18. Juni 1998

27. September 2007