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DILJA/10: Headhunter ( 7) - Alles oder nichts (SB)


HEADHUNTER

Teil 7: Alles oder nichts

Science-Fiction-Story


Darja war der einzige Mensch gewesen, den Mike Rosefield, seit er als Headhunter tätig war, nicht als potentiellen Feind oder potentielles Opfer ansah - was bei ihm so ziemlich auf ein und dasselbe hinauslief. Sie hatte keine Fragen nach Dingen gestellt, die er ohnehin nie beantwortet hätte. Er scheute davor zurück, ihre Vergangenheit zu durchforsten, was angesichts der Möglichkeiten, die ihm als Headhunter offenstanden, kein Problem gewesen wäre.

Es hatte den Anschein, als würde ihre bloße Gegenwart Dinge in ihm wieder zum Leben erwecken, die er nach den langen Jahren bei den mobilen Aufruhrbekämpfungstruppen in Schwarzafrika längst verloren geglaubt hatte. Einem Menschen zu vertrauen - welch absurde Idee! Ein Blick aus ihren gleichmütig erscheinenden Augen traf ihn tief; als sie sich kennenlernten, konnte er sich die Wirkung, die sie ohne viel Aufhebens auf ihn ausübte, nicht erklären. Mike gab es bald auf, nach Begründungen zu suchen und wußte, daß es für ihn längst zu spät war. Er hätte diese Bindung sofort beenden müssen, nun konnte er es nicht mehr, weil er es nicht mehr wollte. Zugleich wußte er, daß Darja ihn ohne es zu wollen ins Verderben ziehen konnte, denn sie war sein wunder Punkt, die empfindliche Achillessehne, die er sich bei dem, was er tat, eigentlich nicht leisten konnte.

Eines Tages versetzte sie ihn durch ihr unverzögert und absolut kompromißloses Verhalten in Erstaunen. Es war in Antwerpen in einer recht kritischen Situation, die ihm noch einige Zeit zu denken gab. Zwei junge Typen hatten sie in der Nähe des Zentralbahnhofs in die Enge getrieben, wo sie mit Mike verabredet war. Der Headhunter registrierte sofort die Gefahr, in der sie sich befand, kaum daß er mit seinem Ferrari in Sichtweite gekommen war. Er fuhr den Motor hoch, doch als er die Stelle erreicht hatte, war schon alles gelaufen: Darja kam ihm entgegen, etwas blaß zwar, doch offensichtlich unverletzt, und ging ohne ein Wort auf seinen Wagen zu. "Was ist mit den beiden Kerlen?" fragte Mike verblüfft. "Die liegen da drüben hinter dem Schuppen", antwortete seine Frau und stieg in den Ferrari. Als Mike sich vergewissern wollte, ob die beiden wirklich erledigt waren, fand er zwei Leichen vor - mit durchgeschnittenen Kehlen. In diesem Moment wußte Mike, daß Darja aus demselben Holz geschnitzt war wie er. Das hier war die Arbeit eines Profis, und Mike zollte ihr seinen Respekt, indem er über diese ganze Angelegenheit nicht ein Wort verlor.


*


Janusz ließ das Fernglas sinken. "Sieh doch mal, Frischfleisch." Mit diesen Worten reichte er Pjotr das Glas. "Die kommen doch tatsächlich hier rüber. Da wird Valentin sich freuen."

Pjotr warf einen Blick durch das Fernglas, ohne mit der Wimper zu zucken, dann griff er in seine Jackentasche zu dem kleinen Funkgerät. Janusz konnte die Worte kaum verstehen, die Pjotr in die Muschel sprach.

"Zwei Personen. Ja, zu Fuß, soweit erkennbar unbewaffnet. Sie laufen jetzt über die Minenfelder, bislang ist noch nichts hochgegangen. Drüben muß so ziemlich alles ausgefallen sein, der Energiezaun ist weg. Sieht ziemlich tot aus. Nein, außer den beiden ist weit und breit niemand zu sehen, auch keine Fahrzeuge. Unsere Leute sind postiert. Ja, wir warten, wir lassen sie rüberkommen. Nein, sie können uns nicht entgehen. Over."

Der erst achtzehnjährige Janusz warf dem wesentlich älteren Pjotr einen fragenden Blick zu. Er wußte, daß er sich noch zu bewähren hatte, wenn er sich einen festen Platz bei Valentins Leuten erkämpfen wollte. Die Gesetze waren hart, sehr hart sogar; ein falsches Wort zur falschen Zeit konnte über Leben und Tod entscheiden.

"Geh wieder auf deinen Posten", wies Pjotr ihn an, "wir lassen sie noch näher rankommen. Wozu sollen wir auf die Minenfelder, wenn sie uns ohnehin in die Arme laufen?"

Janusz wandte sich ab. Inzwischen waren die beiden Flüchtlinge aus der `Lebenszone', wie die andere Seite hier zynisch genannt wurde, schon mit bloßem Auge zu erkennen. "Was denken die sich bloß, hier freiwillig rüberzukommen ...", hörte er Pjotr noch murmeln. Der junge Pole - er war als Kind in die Dürrezone verschleppt worden, kurz bevor die Sperranlagen in Betrieb genommen worden waren - wußte, daß dies nicht die ersten Menschen waren, die in ihrer Verzweiflung aus der eigentlich reichen Zone der Welt hierher flüchteten. Wußten sie denn nicht, daß sie hier, wie es so schön hieß, "ein gefundenes Fressen" waren?


*


Die Sicherheitsautomatik des Ferraris schlug Alarm, Mike Rosefield war sofort hellwach. Binnen weniger Sekunden hatte er die Lage sondiert: In einem 20 Kilometer langen Streckenabschnitt waren die Primär- und Sekundäranlagen der Demarkationsgrenze außer Funktion. Keine Frage, das war die Handschrift von Sergio Lampurtini. `Der Junge beginnt mir zu gefallen', sinnierte Mike, `er ist schneller, als ich dachte'. Daß besagter Abschnitt in unmittelbarer Nähe lag, registrierte der Headhunter nur am Rande; er hatte ohnehin keinerlei Zweifel daran gehegt, daß seine beiden Opfer hier, im früheren Polen, versuchen würden, in die Todeszone zu entkommen.

Mit quietschenden Reifen fuhr der Ferrari an, Mike hatte es nun eilig, sich den Lampurtinis an die Fersen zu heften. Die Jagd, die er bislang sträflich vernachlässigt hatte, versprach nun interessant zu werden. In einer Viertelstunde würde er die Sperranlagen erreicht haben, so schnell wird von den offiziellen Sicherheitsbehörden niemand da sein. In der Zentrale würde es inzwischen zwar Alarm gegeben haben, denn den Ausfall der Stromversorgung im Hauptenergienetz kann selbst ein findiger Hochenergieingenieur wie Sergio Lampurtini nicht verbergen. Daß die Sekundäranlagen ebenfalls deaktiviert waren, hätte ebenfalls einen Alarm in der Sicherheitszentrale auslösen müssen; das aber ließ sich durch eine gezielte Sabotage an den Überprüfungssensoren der Minenfelder unterbinden. Dazu war Sergio, wie Mike sehr wohl wußte, wie kein anderer imstande, schließlich hatte die Installation dieser Anlagen zu seinem Verantwortungsbereich gehört.

Die fast schon bedenkliche Lethargie, die sich seiner bemächtigt hatte, fiel schlagartig von ihm ab. Dieser Italiener war nicht so ganz ohne; kein Wunder, daß die Brüsseler Verwaltungszentrale ihn zum Abschuß freigegeben hatte. Ohne die potentielle Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, die allein in Sergios technischem Know how begründet lag, wären er und seine Frau nicht in den zweifelhaften Genuß gekommen, von einem Headhunter zur Strecke gebracht zu werden.

Mike Rosefield übernahm die manuelle Steuerung seines Wagens. Die Autobahn lag wie ausgestorben vor ihm; zu dieser Zeit, so wußte er, wurden nicht einmal Transporte in die kurz vorm Niemandsland befindlichen Produktionsstätten durchgeführt. Die fahle Morgensonne kroch am Horizont empor. Er tastete sich einen doppelten Espresso, denn er mit wenigen Schlucken trank, ohne die Geschwindigkeit zu reduzieren. Damit fiel die letzte Erinnerung an die im Ferrari verdösten Stunden von ihm ab.


*


Clarissa ging voran. Sie wußte, daß fünf Meter vor ihr normalerweise das hochenergetische Sperrgitter jeden Fluchtversuch unmöglich machte. Jedes Lebewesen, das in den Bereich dieser Energiefelder geriet, wurde sofort rückstandslos zerstrahlt. Manche Vögel, kleine Nagetiere und Reptilien mochten hier schon einen schnellen Tod gefunden haben. Da nicht einmal Knochenstaub zurückblieb, ließ sich über das Ausmaß dieser Tötungen nichts aussagen; ebensowenig, wie sich anhand etwaiger Rückstände ermessen ließ, wieviele Menschen hier schon ihr Ende gefunden hatten.

"Also gut, worauf warten wir noch", sagte Clarissa in einem Tonfall, der ihre Anspannung nur schlecht verbarg.

"Laß mich vorgehen", ließ Sergio sich vernehmen, "schließlich habe ich die Anlagen lahmgelegt."

"Na bitte, warum soll ich dann nicht die erste sein?" fragte Clarissa, ohne sich noch einmal zu ihm umzuwenden, und ging unverzögert los. Sie war des ewigen Spekulierens und Abwartens endgültig überdrüssig geworden. Wenn sie in wenigen Sekunden sterben sollte, weil eben doch nicht alles so geklappt hatte, wie ihr Mann sich das vorgestellt hatte, würde es wenigstens schnell gehen. Sollte Sergio dann doch sehen, ob er sich noch irgendwo verkriechen könnte ...

Ein etwa zehn Meter breiter, dunkler Streifen lag vor ihnen. Daß hier die primäre Hochenergiesperre errichtet war, hätten Uneingeweihte bestenfalls aus der verbrannten und verkohlten Erde schließen können. Im Abstand von 200 Metern waren hohe Masten errichtet, deren Funktion, wie Sergio wußte, mit dem der eigentlichen Sperre vorgelagerten Sensorenfeld zusammenhing. Normalerweise hätte sich kein Lebewesen diesem Streifen so weit nähern können, wie sie es jetzt bereits getan hatten, ohne eine sofortige Aktivierung des Sperrgitters auszulösen. Auch wenn Energie für Menschen eigentlich nicht wahrnehmbar ist, wäre ein aktiviertes Feld durch ein gewisses Wabern in der Luft spürbar gewesen. Sergio Lampurtini blieb nichts anderes übrig, als sich auch in diesem Punkt auf seine Erfahrungen zu verlassen. Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend beobachtete er Clarissa, die sich anschickte, den Streifen verkohlter Erde zu betreten. Wenn es in der Hochenergie-Technik in den letzten zehn, fünfzehn Jahren Weiterentwicklungen gegeben hatte, die seinen Wissensstand überstiegen, würde er es nun bald wissen.

Sergio hielt die Luft an, als Clarissa den entscheidenden Schritt tat - doch nichts geschah. Merkwürdigerweise berührte es ihn kaum, daß sie in diesem Moment hätte sterben können; mit dieser Angst lebten sie beide schließlich schon seit Tagen. Nein, viel mehr beschäftigte ihn die Frage, wie Clarissas unmerkliche und doch unübersehbare Veränderung zu erklären sei. Ihr Ton ihm gegenüber, ja ihr ganzes Verhalten befremdeten ihn, seit sie Corina verlassen hatten. Sicherlich standen sie beide unter einer extremen psychischen Belastung; wer würde nicht in ungewohnter Weise reagieren, wenn er plötzlich aus seinem Alltag herausgerissen wurde und buchstäblich vor dem Nichts stand?

Der ehemalige Hochenergie-Ingenieur wußte, daß er sich mit dieser Argumentation etwas vormachte. Wut- oder Verzweiflungsausbrüche, ja sogar ein Nervenzusammenbruch hätten ihn nicht so irritiert wie die unheimliche Gelassenheit, die Clarissa inzwischen an den Tag legte, so als ob das alles sie kalt ließe. Schlimmer noch, sie wirkte völlig verschlossen, obwohl sie nach wie vor alles mit ihm besprach, was es zu besprechen gab - aber mehr auch nicht. Es war, als ob sie ihn aus ihrem Innenleben völlig ausradiert hatte und nichts mehr für ihn empfand. Konnte das eine Folge dieser gewiß extremen Situation sein? Wieso schlossen sie sich nicht noch enger aneinander an, jetzt, wo es wirklich um alles oder nichts ging?

"Sergio! Willst du da noch Wurzeln schlagen?" Clarissas Stimme riß ihn aus seinen Gedankengängen. "Oder bist du taub?"

"Ich komme schon", rief er ihr zu, und ihm wurde gewahr, daß sie schon öfter nach ihm gerufen haben mußte. "Warte auf mich, bevor du ins Minenfeld läufst", rief er ihr zu und beeilte sich, ihr zu folgen.

Clarissa blieb kurz vorm Ende des dunklen Streifens stehen. Vor ihnen lag eine kahle Fläche, die bis zum Horizont reichte. Es gab hier kaum Vegetation, hier und da lag etwas Gerümpel herum. Das Feld mochte etwa einen Kilometer weit reichen; bei dem über dieser Ebene liegenden Frühdunst waren die Entfernungen allerdings schlecht auszumachen.

"Schwer zu sagen, was sich da hinten befindet. Es könnten ein paar Felsen sein." Sergio sah angestrengt in die Ferne.

"Spielt das jetzt vielleicht eine Rolle?" Clarissa klang wieder einmal gereizt. "Erst einmal müssen wir dieses Minenfeld durchqueren."

"Sieh mal, da drüben sind Wagenspuren." Sergio schien ihre Worte nicht gehört zu haben. "Wie kann das sein?"

Der Italiener lief etwa zehn Meter zur Seite, ohne den Energiestreifen zu verlassen. "Ja, wirklich, das sind Autospuren. Die können nur ein paar Tage alt sein. Und hier, das ist doch nicht zu fassen" - Sergio lief noch ein Stück weiter - "die gehen quer durch den Energiezaun, so als wäre jemand von einer Zone in die andere gefahren!" Jetzt wurde auch Clarissa neugierig. Sollten möglicherweise noch mehr Menschen in die Dürrezone geflohen sein?


*


Mikes Verstand arbeitete auf Hochtouren. Er hatte den Wagen gefunden, den die Lampurtinis bisher auf ihrer Flucht benutzt hatten. Sein Restwärme-Sensor zeigte an, daß noch vor einer halben Stunde zwei menschliche Wesen in diesen Polstern gesessen hatten; er war seinen Opfern also dicht auf den Fersen. Die Sperranlagen waren in diesem Bereich deaktiviert, und zwar genau so, wie Mike es an Sergios Stelle auch getan hätte - insofern hatte der Headhunter mit seiner Einschätzung voll ins Schwarze getroffen.

Mike Rosefield konnte es sich einfach machen; ein kurzer Funkkontakt zur Brüsseler Zentrale - und um seinen Wagen herum würde ein energetischer Hohlraum entstehen, eine Blase sozusagen innerhalb der zur Zeit ohnehin lahmgelegten Sperranlagen. Eine Vorsichtsmaßnahme, die dem Headhunter längst in Fleisch und Blut übergegangen war, denn auf die Manipulationen, die der Italiener hier vorgenommen hatte, wollte er sich nicht verlassen, da ein plötzliches Wiedereinsetzen der Energiezufuhr den augenblicklichen Tod aller im Einzugsbereich des Todesstreifens befindlichen Lebewesen zur Folge haben würde.

Doch dann, von einer Sekunde auf die andere, fiel ihm wie Schuppen von den Augen, wonach er jahrelang geforscht hatte: Der merkwürdige Ausdruck, den der Koordinator vorhin über Funk benutzt hatte, als er ihm das Ultimatum zur Liquidierung der Lampurtinis stellte, hatte er im Zusammenhang mit Darjas Tod schon einmal gehört - nie zuvor und nie danach. Die Konsequenzen dessen waren Mike schlagartig klar: Dieser Büromensch in Brüssel, dem er seine zweifelhafte Existenz nach dem Debakel in Afrika zu `verdanken' hatte, mußte den Mord an Darja befohlen und überwacht haben!!! Obwohl es über acht Jahre her war, daß seine Frau in ihrer Genter Wohnung bei lebendigem Leib verbrannte, war ihm die Szene allgegenwärtig, wie er, von düsteren Vorahnungen getrieben, während der Erledigung eines Auftrags nach Hause gefahren und dann doch zu spät gekommen war.

Der kleine Bungalow war bis auf die Grundmauern ausgebrannt, Mike zweifelte nicht daran, daß hier mit Brandbeschleunigern gearbeitet worden war. Einer der Feuerwehrmänner trat mit betretener Miene auf ihn zu, um ihm mitzuteilen, was dem Headhunter längst klar war: Darja hatte in den Flammen den Tod gefunden, an ihrer Identität gab es keinerlei Zweifel. Mike Rosefield gab damals voll und ganz das Bild ab, daß unbeteiligte Zuschauer von einem zutiefst erschütterten Ehemann erwarten würden - und dennoch nahm er, so ganz nebenbei, seine eigenen Ermittlungen auf. Er wußte, daß er die Mörder in seinen Kreisen zu suchen hatte, und das machte die Identifizierung so ungemein schwierig - und das galt erst recht für die Auftraggeber.

In Gedanken ging er die Liste seiner Todfeinde durch. Doch die war recht kurz, denn Mike neigte im Zweifelsfall dazu, etwaige Gefährdungen mit der ihm eigenen Perfektion in diesem Geschäft von vornherein aus der Welt zu schaffen. Da blieb nichts lange unerledigt, mochte es auch etliche gegeben haben, die einfach nur das Pech hatten, zur falschen Zeit seinen Weg gekreuzt zu haben. In den Brandruinen des kleinen Hauses bedurfte es keines Schwures und keiner Überlegung, ob das Schwein, das Darja auf dem Gewissen hatte, dafür auf grausamste Weise würde bezahlen müssen. Aber wie ihn ausfindig machen?

Die Untersuchung der internen Sicherungsanlagen, die er - unauffindbar für die offizielle Brandermittlungskommission - innerhalb des Hauses installiert hatte, förderte so gut wie nichts zu Tage. Ein Indiz mehr dafür, daß hier Profis am Werk gewesen war, Profis von seinem Schlag, die mit vergleichbaren Mitteln ausgestattet gewesen sein mußten. Der einzige Anhaltspunkt war eine kurze Aufzeichnung auf einer hochenergetisch abgesicherten Funküberwachungsanlage, der das Feuer nichts anhaben konnte. Demnach mußte noch während der Brandlegung ein Funkspruch bei einem der Täter eingegangen sein, dessen Inhalt ihm damals nicht weitergeholfen hatte: "Wieso seid ihr Idioten noch nicht fertig? Ich glaub', mein Schwein pfeift!" Die Stimmdekodierung hatte nichts erbracht. Aufgrund einer umfangreichen Stimmverzerrung war der Originalton nicht zu rekonstruieren und damit der Mensch, der diese Worte gesprochen hatte, nicht zu identifizieren.

Daß die Lösung so einfach sein würde, hätte Mike Rosefield, der seinen seit damals schlummernden Rachefeldzug immer wieder auf Eis legen mußte, nie gedacht. Seine Bemühungen, Licht in diese Angelegenheit zu bringen, verliefen immer wieder im Sande. Ja, es schien sogar, als würden seine Nachforschungen eine Spur des Todes vor sich herziehen. Leute, die vom Fach waren und sich damit auskannten, auf diese Art und Weise Feuer zu legen, starben unter mysteriösen Umständen, kurz bevor er ihrer habhaft werden konnte. Das vollzog sich in einer derartigen Geschwindigkeit, daß der Headhunter nicht umhin kam anzunehmen, daß möglicherweise alle an diesem Anschlag Beteiligten längst liquidiert worden waren. Um sich darüber Gewißheit zu verschaffen, hätte Mike den Auftraggeber ausfindig machen müssen - und genau darin bestand ja das Problem. Die Todesfälle unter den `Feuerlegern' zeugten von der recht rigiden Art und Weise, mit der besagter Auftraggeber sich seiner Mitwisser entledigte.

All das lag nun schon viele Jahre zurück. Das so plötzlich und völlig unerwartet gelüftete Geheimnis um die Identität seines persönlichen Todfeindes führte zu keinerlei Irritationen, Gefühlsreaktionen oder Verzögerungen auf seiten des Headhunters. Sein Verstand arbeitete auf Hochtouren, nun, da er wußte, wer Darjas Tod zu verantworten hatte. Was jetzt blieb, waren technische und organisatorische Probleme, denn der Koordinator wußte sich mit einem unüberwindbar anmutenden Berg von Sicherheitsvorkehrungen und Abwehrmaßnahmen zu umgeben. Die Durchführbarkeit seines Vorhabens stand deshalb für Mike nicht einen Moment lang in Frage, der Koordinator war schließlich ein Mensch aus Fleisch und Blut und deshalb fähig, Schmerzen zu erleiden - mehr brauchte der Headhunter jetzt nicht wissen, um sich mit dem Problem zu befassen, wie er sich seinem Opfer nähern konnte, um seine Rache in einer ihn befriedigenden Weise ausführen zu können.


*


Für die Lampurtinis ging es nun buchstäblich um alles oder nichts; sie standen, um es einmal etwas prosaisch auszudrücken, an der Schwelle zu einer anderen Welt. Eine andere Welt? Dem ersten Anschein nach sah es jenseits der Sperranlagen nicht anders aus als da, wo die beiden Italiener hergekommen waren: verdörrter Boden, kaum Vegetation, hier und da Gerümpel, achtlos stehengelassene und längst dem Oxidierungsprozeß überantwortete Autowracks.

"Wir haben es geschafft", murmelte Sergio, doch seine Stimme klang viel zu kläglich, um seine Worte nicht Lügen zu strafen.

"Was denn?" fragte Clarissa beklommen, "hast du dir das hier so vorgestellt?"

"Wir sind noch am Leben und wir sind in der Dürrezone, damit ist schon viel gewonnen."

`Er kann es einfach nicht lassen', dachte Clarissa stirnrunzelnd, `immer wieder diesen Zweckoptimismus zu verbreiten, der mich so sehr auf die Palme bringt' - doch sie schwieg. Vor ihnen lag eine weit überschaubare Ebene mit gewissen Unebenheiten und den Hinterlassenschaften von Menschen, die dieses Gebiet wohl vor langer Zeit durchquert hatten.

"Manche nennen die Dürrezone auch Todeszone", bemerkte Sergio, dem Clarissas Schweigsamkeit nicht aufzufallen schien. Er ging nun zügigen Schrittes voran, denn jederzeit könnten etwaige Verfolger auftauchen, vor denen sie sich in diesem leicht einzusehenden Gelände nicht würden verbergen können. Angestrengt lauschte er auf Motorengeräusche, sei es aus der Luft oder zu ebener Erde, die das Herannahen der Verfolger ankündigen würden.

"Wir werden den Wall da vorn vielleicht in zehn Minuten erreicht haben", bemerkte er und wies geradeaus. "Ich möchte mal wissen, was uns da erwartet. Es könnten Felsen sein, vielleicht aber auch nur Gebüsch."

Clarissa schritt an ihm vorbei. "Hör doch mal mit diesem ewigen Spekulieren auf. Was nützt es uns denn, darüber zu debattieren, was da vorne sein mag?"

Sergio grinste und folgte ihr nach. So kannte er sie, wenigstens ärgerte sie sich wieder über ihn. Das war ihm längst nicht so rätselhaft wie die bleiernde Gleichgültigkeit und Apathie, die sie ihm gegenüber seit kurzem immer häufiger an den Tag legte. `Was ist bloß los mit ihr?' rätselte er. `Ich könnte ja noch verstehen, wenn sie den Mut verliert oder vor lauter Angst nicht mehr ein noch aus wüßte. Aber diese Teilnahmslosigkeit, so als hätte sie sich mir vollständig entzogen ...'

"Nun beeil dich mal", drang ihre gereizte Stimme an sein Ohr. "Gibt es irgendeinen Grund, hier so zu bummeln?"

Er sah kurz auf und beschleunigte seinen Schritt. Jetzt konnte er deutlich die mit verdörrten Sträuchern durchsetzten Felsen ausmachen, die ihnen gegen mögliche Verfolger guten Schutz bieten würden. Zumindest optisch - denn von hier aus war unmöglich zu sagen, ob sich in den zahlreichen Nischen und Felsgruppen ein Mensch verbarg. Unwillkürlich fuhr er mit der Hand in seine Jackentasche, in der er seine selbstkonstruierte Schußwaffe trug. Wenn die vor ihnen liegende Böschung so schwer einzusehen war, daß sie sich dort im Ernstfall verbergen könnten - wie konnten sie sich denn sicher sein, daß da niemand auf sie lauterte?


*


Ein weiterer Gedanke schoß Mike Rosefield, der mit seinem Ferrari noch immer neben dem dunkelroten Alfa Romeo stand, den die Lampurtinis auf ihrer bisherigen Flucht benutzt hatten, durch den Kopf. Um an den Koordinator heranzukommen, könnten die Lampurtinis ihm noch von Nutzen sein - doch die liefen geradewegs in ihr Verderben. Da der Headhunter die Verhältnisse jenseits dieses Streckenabschnitts ebenso gut kannte, wußte er genau, daß ihre Flucht so oder so bald ein Ende finden würde. Das mochte eine Erklärung sein für die laxe Art, mit der er seinen gegenwärtigen Auftrag bislang ausgeführt oder sogar hinausgezögert hatte. Wirklich plausibel war das nicht - erledigte er doch, vergleichbar vielleicht mit nordamerikanischen Skalpjägern des 19. Jahrhunderts, seine Aufträge bislang mit einem unverkennbaren sportlichen Ehrgeiz. Ob die Lampurtinis durch seine Hand starben oder durch die Halunken, die die Region auf der anderen Seite der Grenzanlagen kontrollierten, spielte keine Rolle, was die längst überfällige Vollzugsmeldung an die Zentrale betraf - genauer gesagt an den Koordinator. Mike wußte nun, daß er nicht eher Ruhe geben würde, bevor er nicht diesen Mann qualvoll sterben sah; so qualvoll, wie Darjas Tod gewesen sein mußte.


*


Clarissa verlangsamte ihre Schritte, Sergio stand dicht neben ihr. Sie sahen sich noch einmal um; die Sperranlagen lagen noch genauso tot und verlassen dar, von Verfolgern weit und breit keine Spur.

"Mir ist es hier unheimlich", sagte sie, und diesmal fehlte ihrer Stimme der scharfe oder ironisch-anzügliche Unterton. "Spürst du nicht auch, daß hier Unheil in der Luft liegt?"

"Ja, ich weiß, was du meinst. Könnten es nicht unsere überspannten Nerven sein? Schließlich stehen wir buchstäblich vor dem Unbekannten, da kann man doch schon mal nervös werden."

"Ach, Sergio", hakte Clarissa ein, und diesmal hatte ihre Stimme ein wenig von ihrer gewohnten Schärfe zurückgewonnen. "Wiegel doch nicht schon wieder ab. Ich habe nicht gesagt, daß ich nervös bin. Ich spreche davon, daß uns hier handfeste Gefahren drohen."

"Willst du nun vielleicht wieder umkehren?" fragte Sergio in seiner Hilflosigkeit. Daß sie beim Wechsel in die Todeszone aller Voraussicht nach vom Regen in die Traufe kommen würden, hatten sie sich immer wieder klargemacht. Doch so einfach war der tiefsitzenden Hoffnung auf eine bessere Welt wohl nicht beizukommen ...

"Nein, laß uns endlich weitergehen. Ich will es so schnell wie möglich hinter mich bringen. Hast du deine Waffe schon auf `letal' gestellt?" fragte Clarissa, die augenscheinlich von ihren düsteren Vorahnungen abgelassen und zu ihrem gewohnten Pragmatismus zurückgefunden hatte.

"Nicht schon wieder dieses Diskussion", erwiderte Sergio. "Wozu haben wir denn zwei Waffen? Da kann doch jeder sie einstellen, wie er will! Ich laß meine jedenfalls auf Paralyse stehen, so lange ich nicht einmal weiß, gegen wen ich sie einsetze."

"Du bist und bleibst ein unverbesserlicher Optimist", fuhr sie ihm in die Parade. "Kommst du jetzt endlich oder willst du hier Wurzeln schlagen?"

Sergio und Clarissa Lampurtini setzten sich in Bewegung, einer ihnen völlig unbekannten Welt entgegen, die doch so viel Verwandtschaft mit den Verhältnissen zu haben schien, denen sie glaubten entfliehen zu können. Sie hatten die sogenannte `Lebenszone' endgültig hinter sich gelassen, denn in spätestens zehn bis fünfzehn Minuten würde der Schaden in den hochenergetischen Sperranlagen behoben sein - es gab für die beiden Verzweifelten, die den Weg ins Unbekannte zu Fuß angetreten hatten, kein Zurück. Auch wenn es ihnen nicht vollständig gelang, ihre bösen Vorahnungen wegzustecken, wußten sie doch nicht, daß sie schon seit langem im Fadenkreuz eines Beobachtungsfernrohrs standen - und zwar von Leuten, die sich ihrer Beute sicher sein konnten und deshalb alle Zeit der Welt hatten, um sie langsam näherkommen zu lassen.


*


"Es geht doch nichts über gute, alte Filme", murmelte Jack Clifton und erhob sich aus dem bequemen Ohrensessel, der in der Multimedia-Zentrale seiner Privatwohnung im Sicherheitshauptamt den Hauch einer persönlich-wohnlichen Einrichtung so eindrucksvoll unterstrich. Dank einer hochentwickelten Konservierungstechnik war es heute möglich, Filme zu sehen, die fünfzig, sogar siebzig Jahre alt waren. In seiner knapp bemessenen Freizeit sah der Koordinator sich immer wieder gerne solche alten Schinken an. Nach einem überaus anstrengenden Vormittag und einer halb durchwachten Nacht hatte sich der Beamte zwei Stunden herausgekniffen für "Denn sie wissen nicht, was sie tun" mit James Dean - ein Film, der ihn jedes Mal fast zu Tränen rührte. Solche kleinen Schwächen konnte Jack Clifton sich durchaus leisten; seine Arbeit, die ihm längst zum Lebensinhalt geworden war, brachte es mit sich, daß er völlig isoliert lebte. Mehr als ein lockerer Plausch mit einem Tischnachbarn im Bistro war für einen Mann in seiner Lage nicht drin - schließlich trug er, wie er nicht ohne Stolz von sich sagte, eine ganz wesentliche Rolle bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der gesamten Nordzone. Die beiden Verwaltungsbezirke Nord-Alpha und Nord-Beta waren so stark miteinander verwoben, daß eine enge Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen auch über den Atlanik hinweg unabdingbar war.

Noch ganz in Gedanken an James Dean, dem Idol seiner Jugend, das er sich bis heute erhalten hatte, schlenderte der Koordinator zurück in seine Kommunikationszentrale. Von Mike Rosefield, das sah er auf den ersten Blick, war noch immer keine Vollzugsmeldung eingetroffen - und in einer Stunde lief das Ultimatum ab, das er ihm zur Erledigung dieses Auftrags gestellt hatte. Jack ließ sich seufzend hinter seinem Schreibtisch nieder; wenn es nun zum Ärgsten käme, so sinnierte er, wen sollte er dann auf Rosefield ansetzen, den einzigen Headhunter in diesem Teil der Welt mit einer hundertprozentigen Erfolgsquote? Bislang war Mike in schwierigen Fällen immer der Garant dafür gewesen, daß bestimmte sicherheitsrelevante Probleme gar nicht erst auftraten, weil die damit in Zusammenhang stehenden Verdachtspersonen binnen kürzester Zeit auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Nie hatte es mit Mike Probleme oder Komplikationen gegeben - nach dem Tod seiner Frau hatte er sogar noch effektiver gearbeitet.


*


"Bringt sie her", so lautete Valentins knappe Anweisung an den Außenposten. Pjotr steckte das Funkgerät ein und wandte sich seinem Gefangenen zu. Sergio Lampurtini wischte sich das Blut aus dem Gesicht, nachdem Pjotr ihm die Handfesseln abgenommen hatte. Ein stechender Kopfschmerz hämmerte in Sergios Schädel, ansonsten war er unverletzt geblieben. Doch wo war Clarissa?

"Wo ist meine Frau?" fragte er und bemühte sich, seiner Stimme einen festen Klang zu verleihen.

"Halt's Maul", fuhr Pjotr ihn an, "du sagst keinen Ton, bevor du nicht gefragt wirst, sonst wirst du mich kennenlernen." Der kräftige, etwa vierzigjährige Mann deutete auf seine Pistole, mit deren Knauf Sergio bereits unliebsame Bekanntschaft gemacht hatte.

"Ich will doch nur wissen ...", weiter kam Sergio nicht, denn der gebürtige Pole versetzte ihm augenblicklich einen weiteren herben Schlag an die Schläfe.

"Was glaubt dieser Idiot eigentlich, wo er hier ist", murmelte Pjotr und wandte sich Janusz zu. "Was steht du hier so rum und glotzt? Hol dir drei Leute und pack' ihn ein, wir sollen ihn in die Zentrale bringen."

"Und sie, was machen wir mit ihr?" hakte der 18jährige Janusz ein.

"Sie ist schon mit dem letzten Transport in die Zentrale gebracht worden. Sie war ja vernünftig genug, uns keine Scherereien zu machen", gab Pjotr zur Antwort. "Und nun beeil' dich, du weißt doch, daß Valentin nicht gerne wartet."

Es dauerte keine zwei Minuten, bis der bewußtlose Italiener auf einen Volvo-Geländewagen verladen worden war. Durch das Schaukeln des Fahrzeugs, das trotz zahlreicher Schlaglöcher auf unebenem Gelände mit Höchstgewindigkeit fuhr, kam Sergio schnell wieder zu sich, nun mit höllischen Kopfschmerzen. "Verdammte Scheiße", murmelte er und biß sich auf die Lippe. "Warum haben wir uns nur so überrumpeln lassen?"

Sergio hatte vor Schreck seine Waffe fallenlassen, als sie sich plötzlich einer Gruppe von zwölf bis fünfzehn schwerbewaffneten Männern gegenüber sahen, die wie aus dem Nichts vor ihnen aufgetaucht waren. Zur Warnung hatten sie ihm und Clarissa sofort vor die Füße geschossen. Seine Frau hatte ihre Waffe, die aus dem Wagen des Spaniers stammte, wohl noch anheben wollen, um zu schießen. Ein weiterer Schuß gellte auf; Sergio hörte nur noch, wie Clarissa mit einem leisen Zischen den Atem anhielt. Die Kugel, mit der ihr die Pistole aus der Hand geschossen wurde, mußte sie gestreift haben. Sergio achtete nicht auf den Mann, der sich ihm mit schweren Schritten näherte. Als der Unbekannte dicht vor ihm stand, war es zu spät: Der Italiener sah aus den Augenwinkeln nur noch eine Ausholbewegung, bevor der Gewehrkolben des Banditen - was sollten das sonst für Leute sein? - ihn am Kopf traf.


*


Mit über 100 Stundenkilometern fuhr der Headhunter durch den Todesstreifen, wohlwissend, daß um seinen Ferrari XS 3000 eine energetische Vakuum-Blase bestand, die ihm ein sicheres Durchqueren dieser sonst tödlichen Demarkationsgrenze ermöglichte. Die Sabotage des italienischen Hochenergieingenieurs hatte zu einer Stromunterbrechung der mehrfach gestaffelten Anlagen geführt, doch dieser Effekt würde nach Mikes Einschätzung nur noch wenige Minuten anhalten. Angesichts der Maximalgeschwindigkeit seines Wagens von 230 km/h fuhr der Kopfgeldjäger eigentlich nicht schnell, bedenkt man jedoch die Bodenverhältnisse in dieser schlaglochbestückten Fläche, kam sein Tempo einem Himmelfahrtskommando gleich. Mike Rosefield wußte genau, was er aus seinem Ferrari herausholen konnte, und dieses Mal ging er bis an diese Grenze heran.

Daß ihm die Zeit so unter den Nägeln brannte, hatte nichts mehr mit der Erfüllung des Lampurtini-Auftrags zu tun, der nun ohnehin gegenstandslos geworden war. Wenn er bedachte, daß er seit Jahren jeden Auftrag des Mannes, der Darjas Tod zu verantworten hatte, blindlings ausgeführt hatte, ohne das auch nur zu ahnen ... Doch selbst für solche Ressentiments nahm der Headhunter sich in dieser Situation nicht die Zeit. Er wußte, wie schnell die Lampurtinis tot sein könnten, wenn sie erst einmal in die Fänge von Valentins Leuten gerieten. Wollte er sie auf irgendeine Weise als Lockvogel benutzen, um an den Koordinator heranzukommen, mußte er unter allen Umständen ihr Leben retten - deshalb die Eile.

Mike Rosefield machte sich gar nicht erst die Mühe, seine Annäherung zu verbergen - die Truppe sollte so schnell wie möglich wissen, daß er im Anmarsch war. In Sichtweite der Böschung, die an diesem Streckenabschnitt kilometerweit den eigentlichen Grenzanlagen vorgelagert war, hielt er an, um den Beobachtungsposten eine Identifizierung seines Wagens zu ermöglichen. Er wartete, bis sich die Staubwolke, die den Ferrari umhüllte, gelegt hatte - und fuhr sofort weiter, direkt auf einen bestimmten Punkt in den Felsen zu. Ob hier nun Chargen aus Valentins Truppe postiert waren oder nicht, spielte keine Rolle - sie würden ihm hier so oder so einen heißen Empfang bereiten.

Der Headhunter nestelte an der Funkanlage seines Ferraris herum - in wenigen Sekunden hatte er die im Umkreis von fünf Kilometern verwendeten Frequenzen gescannt. Er schaltete sich in einen Kontakt ein, in dem es offensichtlich um ihn ging - die Ankunft eines `Grenzgängers' wurde an die `Zentrale' gemeldet.

"Sag Valentin, daß ich ihn in drei Minuten hier sehen will", sagte er, ohne seinen Worten eine Drohung hinzuzufügen.

"Wer is'n das da in der Leitung?" hörte er eine der beiden Stimmen, die er dem Grenzposten zuordnete, verwundert fragen.

Der zweite reagierte nicht auf diese Frage und wandte sich direkt an Mike: "Geht in Ordnung, Valentin wird gleich da sein", so als wäre es das Alltäglichste der Welt, daß sich ein Unbekannter in ein Funkgespräch einmischte.

Der Headhunter stellte sein Gerät ab. Wenn die Lampurtinis jetzt noch nicht den Tod gefunden hatten, waren sie fürs erste gerettet. Valentin würde alles übrige zurückstellen, bis er wußte, was Mike von ihm wollte. Ob die Halunken, die der alte Gebirgsjäger hier um sich geschart hatte, auch alle wußten, was die Stunde geschlagen hatte, war eine andere Frage. Wie Mike Valentin kannte, regierte er sie mit eiserner Faust, so daß kaum zu erwarten war, daß sich jemand ohne Valentins Befehl an den Gefangenen vergreifen würde.


*


"Schnell, schnell, mach den Wagen klar, ich muß sofort zum Außenposten", fuhr Valentin Stepano an, einen Chilenen, den es vor langer Zeit auf krummen Wegen in diese Region verschlagen hatte. "Gib mir nochmal das Funkgerät", verlangte Valentin, während beide in den bereitstehenden Geländewagen einstiegen, mit dem Sergio Lampurtini vor nicht einmal zehn Minuten ins Lager gebracht worden war.

"Nun fahr wie der Henker", wies Valentin Stepano an. Der Chilene stellte keine überflüssigen Fragen, er war einer der wenigen in dieser Truppe von Gesetzlosen, die in etwa wußten, was es mit diesen `Grenzgängern' auf sich hatte. Daß der Ankömmling kein Flüchtling war, verstand sich von selbst. Nie zuvor hatte er Valentin so kalkweiß gesehen - als wäre ihm der Leibhaftige auf den Fersen. Stepano war erfahren genug, um zu wissen, wie brenzlig solche Situationen für alle Beteiligten werden konnten, und so konzentrierte er sich voll und ganz auf die Fahrt, um in Nullzeit zum drei Kilometer entfernt liegenden Außenposten zu gelangen.

"Paß auf, Pjotr", hörte er Valentin in die Muschel des Funkgeräts flüstern, "daß keiner von den Idioten auf diesen Fremden schießt oder auch nur eine falsche Bewegung macht. Hast du das kapiert?"

`Was muß das für ein Mensch sein, dessen bloße Ankunft Valentin in Angst und Schrecken versetzt?' fragte sich Stepano im stillen und wich in letzter Sekunde einem hinter einer steilen Kurve plötzlich aufragenden Felsen aus.

"Noch anderthalb Minuten, dann müssen wir da sein, also hör' auf zu grübeln", wies Valentin ihn zurecht, und Stepano fühlte sich wieder einmal durchschaut. Er legte noch etwas zu, die Federung des Wagens ächzte unter der Belastung. Jetzt noch drei Kurven - hier kannte Stepano das Gelände genau -, und dann hatten sie es geschafft. Mit Vollgas fuhr der Chilene auf die kleine Anhöhe zu, hinter der Pjotrs Außenposten verborgen lag. Ein fremder schwarzer Ferrari stand mitten auf dem Platz; ein Mann, der Stepano unbekannt war, lehnte am Kotflügel und sprach mit Pjotr, der sich in seiner Haut sichtlich unwohl fühlte.

Stepano riskierte einen Seitenblick auf Valentin, der nun überhaupt nicht mehr auf seinen Fahrer achtete. Den Blick starr auf den Ankömmling gerichtet, legte er seine Waffe beiseite und stieg aus, nun unbewaffnet und mit völlig ausdruckslosem Gesicht. Langsam ging Valentin auf die beiden Männer zu. Stepano stieg nun ebenfalls aus, die MP im Anschlag, wie es sich für einen guten Leibwächter gehörte.

"Kann es sein, daß dein Wachhund mich als Bedrohung empfindet?" hörte der Chilene den Fremden fragen, als Valentin ihm entgegentrat. Stepano ließ sofort seine Waffe fallen, ihm gefror das Blut in den Adern, denn er wußte, daß sein Leben nur noch an einem seidenen Faden hing.

"Verzeih mir", hörte er Valentin in einem Tonfall antworten, in dem sich Unterwürfigkeit und Todesangst zu mischen schienen. "Er ist ein guter, aber dummer Junge. Was kann ich für dich tun?"

"Ich habe eine kleine Bitte", fuhr Mike Rosefield mit leiser Stimme fort, so daß Stepano nun Mühe hatte, ihn zu verstehen. "Hier sind vor kurzem zwei Leute angekommen, ein italienisches Pärchen. Ich hoffe für dich, mein alter Freund, daß es ihnen noch immer gutgeht. Vielleicht kannst du mir helfen, sie wiederzufinden?"

An der Körperhaltung seines Chefs konnte der Fahrer und Leibwächter sehen, wie ihn die Verzweiflung übermannte. "Es tut mir unendlich leid, Mike, wenn ich gewußt hätte, daß du sie haben willst ..."

"Was soll das heißen?" fragte der Headhunter nun etwas schärfer. Stepano war durch das Auftreten dieses Grenzgängers schon so eingeschüchtert, daß er fast Mitleid für Valentin aufbrachte.

"Den Typen haben wir, der ist bei uns im Lager in Sicherheit. Den kannst du sofort haben. Aber die Frau ..." Hier stockte Valentin, ein aufmunterndes Lächeln des Fremden ließ ihn sofort weitersprechen.

"Sie ist tot. Sie muß ein Gift bei sich gehabt haben, das sie auf der Fahrt ins Lager geschluckt hat. Es ging so schnell, daß meine Leute nichts mehr machen konnten. Bist du auch an ihrer Leiche interessiert?"

Mike Rosefield schüttelte stumm den Kopf. In Gedanken war er längst mit den nächsten Plänen beschäftigt, während Valentin ihn noch immer verängstigt-erwartungsvoll ansah.

(Ende des 7. Teils)


*


Clarissa Lampurtini ist tot. Wie wird Sergio damit fertig werden? Wird der Headhunter ihn aus Valentins Händen befreien? Und wie sehen die Pläne aus, mit denen Mike Rosefield seine Rache in die Tat umsetzen will?

Lesen Sie weiter in der nächsten Headhunter-Folge: Teil 8: Die Rückkehr


Erstveröffentlichung am 19. April 1996

2. Januar 2007