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DILJA/14: Headhunter (11) - Finale Schüsse (SB)


HEADHUNTER

Teil 11: Finale Schüsse

Science-Fiction-Story


Mit einer für ihn ungewöhnlichen Emsigkeit hatte Jack Clifton mit seinen Vorbereitungen begonnen. Seit Jahren war er nicht mehr im Außendienst gewesen, so daß eine wohlige Geschäftigkeit sich seiner bemächtigte, gepaart mit einer guten Portion Nervosität. "Eigentlich bin ich für solche Einsätze nicht qualifiziert", murmelte der oberste Sicherheitsbeamte der Region Nord-Beta vor sich hin. "Doch was soll's, ungewöhnliche Umstände erfordern eben auch ungewöhnliche Maßnahmen", sagte er schmunzelnd zu seinem Spiegelbild, das ihm vom Badezimmerschrank entgegensah.

In einem Augenwinkel konnte er noch die Spuren eines hastig verwischten Bluttropfens ausmachen. Er nahm sich ein Wattebäuschchen und reinigte sorgfältig die gesamte Augenpartie. "Merkwürdig", sinnierte der Koordinator, "da ist nicht der kleinste Kratzer zu sehen. Und ich war mir sicher, mich versehentlich mit dem Fingernagel am Auge verletzt zu haben." Das dumpfe Gefühl einer unliebsamen Erinnerung stieg in ihm hoch, doch er kämpfte diese Anwandlung nieder, um in dieser Situation keine Zeit zu vergeuden. "Jetzt gibt es wichtigere Dinge zu erledigen, als solchen bösen Ahnungen zu folgen", ermahnte er sich wie im Selbstgespräch, das ihm in seiner Isolation längst zur Gewohnheit geworden war.

Mit einem lauten Krachen schloß er die Tür des Badezimmerschranks, machte auf dem Absatz kehrt und eilte an seine Konsole, denn für die ihm in Kürze bevorstehende Aktion mußte er im Dialog mit dem 'Gehirn', wie er den Zentralcomputer des Sicherheitssystems spaßeshalber nannte, umfangreiche Maßnahmen ergreifen, damit er bei seinem Treffen mit dem mysteriösen Lampurtini-Doppelgänger in der Genter Wohnung seines besten Headhunters keine unkalkulierbaren Risiken einging.


*


Sergio Lampurtini war sich, vom Schlaf noch halb benommen, nicht vollständig darüber im klaren, welcher Teufel ihn eigentlich ritt. Warum nur hatte er die Tür zum Nebenzimmer aufgerissen, in dem doch ganz offensichtlich eine Schießerei - oder Hinrichtung? - stattfand! Es mochte Neugier gewesen sein, gepaart mit einem Funken Sensationslust, doch das spielte nun alles keine Rolle mehr. Der Anblick, der sich dem Italiener bot, übertraf nach seinem Dafürhalten alles, was er bislang zu Gesicht bekommen hatte. Den Anblick seiner getöteten Frau auf der 'Schlachtbank' einer Kühlkammer hatte er nach wenigen Tagen schon vollständig verdrängt.

Seltsamerweise hatte seine Eintreten die absurde Szenerie unterbrochen, obwohl Sergio keineswegs daran dachte, aktiv in das ihm unverständliche Geschehen einzugreifen. Die Hölle, in die das zuvor so gemütliche Zimmer sich binnen kurzem verwandelt hatte, versetzte ihm einen gelinden Schock. Er ließ vor Schreck die Pistole fallen, die er zuvor mit weißen Fingerknöcheln krampfhaft umklammert gehalten hatte. Auf einem Sessel saß oder vielmehr lag ein blutüberströmter Mann, der jedoch bei vollem Bewußtsein war. Sergio Lampurtini konnte gar nicht anders, als diesen Menschen anzustarren - wieso war der nicht tot oder zumindest bewußtlos, mußte er nicht von zahlreichen Schüssen getroffen sein?

Bei diesem Gedanken wandte sich der gebürtige Italiener unwillkürlich dem zweiten Mann zu, dem Schützen, der sich, wie er richtig vermutete, hinter der von ihm geöffneten Tür befand. Mit völlig ausdrucksloser Miene stand der Headhunter - und niemand anderen hätte Sergio hier vermutet - ihm nun gegenüber.

"Geh' doch mal aus dem Weg", sagte der Kopfgeldjäger mit leiser Stimme. Sergio Lampurtini war weit davon entfernt, sich in irgendeine Richtung zu bewegen; halb paralysiert reagierte er auf die für ihn völlig ungewohnte Situation. Was hatte das alles zu bedeuten? Sollte dieses Bündel Mensch, dessen flüsternde Rufe "Helfen Sie mir, oh, so helfen Sie mir doch!" nun erst Sergios Gehirn erreichten, dieser Koordinator sein, von dem der Headhunter ihm erzählt hatte und dessentwillen sie überhaupt hier waren?

"Na, wird's bald", Mike Rosefields Stimme klang nun schon um eine deutliche Spur ungeduldiger. "Du stehst in der Schußlinie." Unwillkürlich machte Sergio einen weiten Satz zurück und stand wieder im Türrahmen, so als ob er sich notfalls in der angrenzenden Kammer verstecken wollte. Zwei weitere 'Plopps' erklangen, nun merklich lauter als zuvor, als Sergio die merkwürdigen Geräusche durch die Wand gehört hatte. Erneute Schreie des Gequälten folgten, erstarben dann aber recht bald zu einem leisen Wimmern.

In Sergios Gehirn setzten gewisse Denkprozesse wie in Zeitlupe wieder ein. 'Will der Mensch, daß ich ihm helfe? Ich? Ihm?' Nur mit großer Mühe gelang es dem ehemaligen Hochenergie- Ingenieur, die für ihn absurde Situation zu erfassen. 'Das ist ja wie im Horrorfilm! Was soll denn das werden, eine langsame, qualvolle Hinrichtung wie in Kafkas Strafkolonie?'

"So ungefähr. Wenn du ein Problem damit hast, verziehst du dich am besten, bevor du für mich zum Problem wirst", durchdrang der Headhunter mühelos die wirren Gedanken seines Gastes. Den Verdacht, daß der Unheimliche über telepathische Gaben verfügen mußte, sah Sergio durch diese Bemerkung endgültig bestätigt, was seine Verwirrung nur noch steigerte.

Weitere Plopps rissen den Italiener aus seinen Betrachtungen. Erneut folgten gequälte Schreie des geschundenen Opfers diesen gedämpften Geräuschen, die kaum erahnen ließen, welch grausame Wirkungen sie hervorrufen konnten.

"Das sind Miniatur-Dumm-Dumm-Geschosse", fing der Headhunter ungefragt zu erklären an, so als befänden sie auf einem militärwissenschaftlichen Seminar. "Im Prinzip sind sie mit ihren Vorläufern identisch, den im vorigen Jahrhundert noch verbotenen Dumm-Dumm-Geschossen. Nur ist die Wirkung ungleich feiner, möchte ich mal sagen. Du siehst, er ist mit Wunden übersät, doch bislang wurde kein lebenswichtiges Organ verletzt. Wenn er mir nicht umkippt, können wir dieses Spiel noch ein ganzes Weilchen weiterspielen."

Bei diesen Worten stöhnte der Gequälte erneut auf, obwohl noch kein weiteres 'Plopp' erfolgt war. Die bloße Aussicht auf weitere Torturen dieser Art trieb diesen Menschen schier zur Verzweiflung.

"Ich weiß nicht, was dieser Verrückte will", flüsterte der Koordinator mit ersterbender Stimme und wandte sich mühsam dem ehemaligen Hochenergie-Ingenieur zu, in dem er ganz offensichtlich einen Leidensgenossen oder besser noch potentiellen Verbündeten zu sehen glaubte. "Können Sie mir nicht helfen? Können Sie diesem Wahnsinnigen nicht Einhalt gebieten?"

In Sergios Gehirn ging es drunter und drüber. Er fand es barbarisch, was der Headhunter mit diesem wehrlosen Menschen anstellte. Der Geruch von Blut hing schwer in dem kleinen Raum, der kaum noch an die anheimelnde Atmosphäre erinnerte, die Sergio bei ihrem Eintreffen empfunden hatte. 'Sollte ich mich hier einmischen?', überlegte er. 'Aber wie?' Dummerweise hatte er seine Waffe fallenlassen.

"Heb' sie ruhig auf ...", ertönte die Stimme von Mike Rosefield aus der hinteren Ecke des Zimmers. Sergio Lampurtini hielt in der Bewegung inne. "... wenn du unbedingt versuchen willst, Clarissas Mörder zu helfen." Clarissas Mörder? Kurzentschlossen wandte sich der Italiener dem Unbekannten zu, der sich inzwischen in seinem Sessel zusammengekauert hatte.

"Haben Sie meine Frau umgebracht?" fragte er barsch, denn er wollte in den Augen des Headhunters nicht als Weichei dastehen.

"Ich?" Jack Clifton riß die Augen weit auf. "Ich habe niemanden umgebracht! Ich weiß nicht einmal, wovon Sie sprechen!"

Weitere Plopps unterbrachen die beginnende Konversation zwischen den beiden so ungleichen Männern.

"Hören Sie doch auf!" fuhr Sergio Lampurtini den Kopfgeldjäger an. "Sehen Sie denn nicht, wie der Mann sich quält?"

"Falsch. Ich quäle ihn", korrigierte Mike Rosefield den Italiener mit sanfter Stimme. "Meinen Sie, es sollte schneller gehen? Wollen Sie ihm vielleicht den Gnadenschuß versetzen? Dann bitte", und er deutete wieder auf die am Boden liegende Pistole.

"Nein, nein, nein. Wieso denn das? Wieso muß er sterben?" fragte Sergio, dem das Mitgefühl für den Beamten ins Gesicht geschrieben stand.

"Das möchte er vielleicht auch gern wissen", bemerkte Mike Rosefield, bevor er seine Spezialwaffe, eine K-27, anhob, um seinem Opfer die nächsten Schläge zuzufügen. Genaugenommen waren es keine Schüsse, sondern Projektile, die die Haut durchdrangen, dann explodierten und Löcher von wenigen Zentimetern rissen.


*


"Adler ruft Falke, Adler ruft Falke", drang der codierte Ruf aus dem Handy des Sergeants.

"Hier Falke", meldete er sich und behielt die Umgebung im Auge.

"Wie ist die Lage?" erklang die Stimme von Major O'Connor.

"Hier ist alles ruhig. So wie es aussieht, sitzen sie drinnen beim Kaffee oder sowas."

"Geben Sie für Ihre Leute Alarm gelb. Wenn in zehn Minuten kein Signal kommt, stürmen wir."

"Ja, Sir", versicherte O'Brian eilig, dem die leise Zurechtweisung in den Worten seines Vorgesetzten nicht entgangen war. Längst hatte er es sich abgewöhnt, über sinnlose und überzogene Aktionen nachzudenken. Ihm war ohnehin nicht klar, warum sie mit einem derartigen Aufgebot hier in Stellung gegangen waren. Es gab in dieser Wohngegend keine militärisch wichtigen Objekte; dem Anschein nach ging es um den Schutz eines einzelnen Menschen.

"Sie warten meinen direkten Befehl ab, und bis dahin halten Sie Ihre Leute auf mindestens 100 Meter zurück. Haben Sie das verstanden?"

"Ja, Sir. Befehl abwarten, Mindestabstand 100 Meter", wiederholte O'Brian in knappen Worten.


*


"Er will mich einfach nicht verstehen, obwohl ich mir nun wirklich alle Mühe gebe. Vielleicht kannst du ihm erklären, warum er sterben muß ... Meine Geduld ist nicht unerschöpflich."

Sergio Lampurtini verstand zwar die Worte, die der Headhunter nun an ihn richtete, aber er weigerte sich zu begreifen, was dieser Mensch eigentlich wollte.

"Wwwi-, wwwieso soll ich ihm erklären, was hier abgeht?" begehrte er auf. "Ich hab' doch mit dieser Scheiße nichts zu schaffen!" So, nun war es heraus; Sergio fühlte sich gleich merklich besser, weil er diesem Ungeheuer in Menschengestalt endlich 'mal die Meinung gesagt hatte.

Neugierig sah er zu Mike Rosefield hinüber, doch in dessen Gesicht war nach Sergios Empfinden bestenfalls eine Spur von Erleichterung zu lesen.

"Uns bleibt leider nicht viel Zeit, um diese Sache hier in aller Ruhe zu Ende zu bringen", fuhr der Headhunter ungerührt fort, während er die Waffe auf den Koordinator richtete und noch ein paar Mal abdrückte.

"Hören Sie auf, hören Sie doch endlich auf", schrie der Getroffene, der sich kurz im Sessel aufbäumte und dann noch tiefer in sich zusammensackte. "Sagen Sie mir doch endlich, was Sie von mir wollen!"

"Was ich von Ihnen will?" echote der Headhunter mit aufreizender Langsamkeit. "Lassen Sie es mich mal so formulieren: Wir machen so eine Art Multiple Choice mit Belohnung und Bestrafung. Sie erklären mir, warum ich Ihnen so zusetze, und für jede falsche Antwort gibt es eine weitere Lektion." Bei seinen letzten Worten deutete der Kopfgeldjäger mit freundlicher Miene auf seine Waffe, wie um deutlich zu machen, was er unter einer Lektion verstand.

"Das ist doch pervers", mischte Sergio Lampurtini sich wieder ein. Mit wenigen Schritten kam Mike Rosefield auf ihn zu und fuhr ihm mit dem Knauf seiner Pistole durchs Gesicht. Der Italiener, völlig überrascht durch diesen unvorgesehenen Angriff, blieb wie angewurzelt stehen, er hatte nicht einmal auszuweichen versucht und griff sich nun an die schmerzende Stirn.

"Du könntest deinem neuen Freund ja helfen", schlug der Headhunter Sergio vor. "Wenn du für ihn die richtigen Antworten gibst, verschone ich ihn. Wenn nicht, fängt er sich eben die nächsten Kugeln."

Der ehemalige Hochenergie-Ingenieur sah ratlos zu dem Gequälten hinüber, dessen Namen er noch nicht einmal wußte. Oder doch? Wenn er eins und eins zusammenzählte, mußte er eigentlich davon ausgehen, in diesem Menschen den Koordinator vor sich zu sehen, von dem der Headhunter ihm erzählt hatte. Doch wer weiß, was für Geschichten dieser Sadist ihm da aufgetischt hatte ... Wenn er sich recht besann, lautete der Name dieses Mannes Jim oder Jack Clayton. Nein, nicht Clayton, eher Clifton, aber das war wohl jetzt auch nicht so wichtig.

"Tun Sie, was er von Ihnen verlangt", bat der Koordinator mit erstickter Stimme. "Ich flehe Sie an, wenn Sie auch nur die leiseste Ahnung haben, was er hören will, tun Sie ihm und mir den Gefallen!"

Noch zögerte der Italiener. "Sie haben's doch gehört. Wenn ich nun falsch liege, wird er Sie weiter quälen."

"Das tut er sowieso. Glauben Sie mir, Sie sind meine einzige Chance, nur Sie können mir helfen!"

"Na, dann mal los", fuhr der Headhunter dazwischen. "Nachdem ihr nun alles ausgehandelt habt, solltet ihr zur Sache kommen, denn es bleiben uns nur noch wenige Minuten. So leid es mir tut, aber wenn wir dann die Lage nicht geklärt haben, sehe ich mich genötigt, die ganze Angelegenheit extrem abzukürzen. Ich bin ganz Ohr."

Weder Jack Clifton, so benebelt seine Sinne durch die ständigen Schmerzen auch sein mochten, noch Sergio Lampurtini hegten den geringsten Zweifel daran, was der Headhunter mit dieser 'Abkürzung' meinen könnte. Und so bedurfte es keiner weiteren Worte, um zwischen diesen beiden eigentlich so gegensätzlichen Männern ein Einvernehmen herzustellen. Zögernd und zunächst stockend fing Sergio an zu sprechen.


*


"Immer noch keine Resultate bei der Akustik?" fragte Major O'Connor, der Einsatzleiter vor Ort, mit zunehmender Ungeduld. "Ich will wissen, was da drinnen vor sich geht."

"Tut mir leid, Sir, da ist im Moment nichts zu machen. Wir haben noch keinen Weg gefunden, die Störgeräusche zu isolieren", antwortete einer der Ortungstechniker dienstbeflissen.

Major O'Connor hatte eindeutige Befehle, und die sahen nun mal ein Eingreifen nach eigenem Ermessen nicht vor. Der 48jährige Offizier portugiesischer Abstammung wischte sich über die Stirn, denn ihm allein war die hohe Verantwortung bewußt, die diesem Kommando in der so trügerischen Idylle eines belgischen Vororts oblag. Das Leben dieser VIP-0-Person war unter allen Umständen zu schützen, und 'unter allen Umständen' hieß eben auch unter wirklich allen Umständen; auch der Einsatz schwerster Waffen konnte in so einem Ausnahmefall angezeigt sein, sollte die Sachlage es erfordern.

Die Sachlage stellte sich nun allerdings so einfach wie schlichtweg ungeklärt dar. Tatsache war, daß der VIP-0, um den es hier ging, vor 25 Minuten den Bungalow in der Kerkeland Straat Nr. 12 betreten hatte und seitdem nicht wieder aufgetaucht war. Sollte es zu einer Geiselnahme kommen, standen in der unmittelbaren und weiteren Umgebung 200 Spezialisten bereit. Das Problem war nur, daß Major O'Connor einfach nicht wußte, was in diesem Haus geschah. Kein Laut war zu hören, an den Fenstern regte sich nichts und niemand, und, was noch viel schlimmer war, die ortungstechnischen Mittel versagten völlig. Es war noch nicht einmal erwiesen, ob dieser Ausfall auf technischen Mängeln oder einer gezielten Manipulation beruhte.

"Stellen Sie eine Verbindung zum Hauptquartier her", wies O'Connor seinen Sergeant an. "Code zero."

Umgehend kam der gewünschte Funkkontakt zur Brüsseler Zentrale zustande. O'Connor schilderte über die dreifach gesicherte Leitung dem Sicherheitshauptamt das Problem in der stillen Erwartung eindeutiger Handlungsanweisungen.

Es dauerte nicht einmal eine Sekunde, bis die Zentrale ihm antwortete: "Sie haben sich an Ihre Befehle zu halten. Ich wiederhole: Kein Eingreifen ohne den entsprechenden Impuls. Die Alternative Beta bleibt davon unberührt, wie geplant haben Sie in diesem Fall - und nur in diesem! - die Aktion 'Morgenröte' auszuführen."

Damit waren alle Fragen beantwortet. Major O'Connor steckte mißmutig sein Funkgerät in die Tasche, denn nun waren ihm erst recht die Hände gebunden. Er haftete persönlich für das Wohlergehen dieses Mannes, hatte aber keine Möglichkeit zu überprüfen, ob er überhaupt noch am Leben war. Innerhalb der nächsten fünf Minuten hätte der VIP-0, wenn alles glattlief, einen Impuls senden müssen. Doch auch wenn diese Bestätigung, daß mit der Zielperson alles zum besten stand, ausblieb, durfte das Haus nicht gestürmt werden. An den Fall Beta, der von nun an gerechnet - und hier sah der Major auf sein Armbanddisplay, das 07.46 Uhr anzeigte - in 29 Minuten eintraf, mochte der Offizier gar nicht denken. Außer ihm wußte keiner der beteiligten Soldaten über die rund um das Haus angebrachten Sprengladungen Bescheid; auf einen speziellen Impuls hin hatte er unverzüglich die Explosionskette auszulösen, die nicht nur dieses Haus in Schutt und Asche verwandeln würde ...


*


Der Koordinator schloß für einen Moment die Augen. Wie spät mochte es wohl sein? Warum hatten die Soldaten nicht längst diese Bruchbude gestürmt und diesem Halunken den Garaus gemacht? Eine neue Welle dieses unsagbar brennenden Schmerzes durchströmte seinen Körper, der aus zahllosen, für sich genommen vielleicht harmlosen Wunden blutete. Jack Clifton war die Existenz solcher Waffen - oder wohl eher Folterwerkzeuge - durchaus bekannt gewesen, so wie er als oberster Dienstherr aller Sicherheitsorgane und -systeme eben den Durchblick haben mußte. Aber daß er je am eigenen Leibe ihre Wirkung erfahren würde, hätte er sich nie träumen lassen ...

Aus den Berichten des medizinisch-militärischen Forschungskomplexes war ihm noch lebhaft in Erinnerung, daß diese Horrorwaffe es dem Opfer zugleich unmöglich macht, sich in eine Bewußtlosigkeit zu flüchten. Die Projektile enthielten Stimulanzien, die über die blutenden Verletzungen in den Kreislauf gerieten und dort eine wohldosierte, anregende Wirkung entfalteten. Jahrzehntelanger Forschungsarbeit, am 'lebenden Objekt' selbstverständlich, lag dieser Waffengattung zugrunde. Die Qualität der Folter, der 'sicherheitsrelevanten Verhörmittel', wie es in der wissenschaftlichen Amtssprache hieß, konnte dadurch um ein Vielfaches gesteigert werden.

Das Wissen um diese Fakten stellte für Jack Clifton eine zusätzliche Belastung dar, er hätte alles, wirklich alles darum gegeben, um dieser Situation zu entkommen - und sei es wenigstens für einen kurzen Augenblick. Doch sein Widersacher schien seine perfide Freude daran zu haben, ihn einfach nur zu quälen. Keine Forderungen, keine Bedingungen, Fragen oder Antworten, nicht ein einziges Wort der Erklärung. Es mußte sich bei diesem Menschen, der ihm nach Aktenlage eigentlich bestens bekannt war, um einen unidentifizierten Psychopathen handeln. Anders ließ sich das alles nicht erklären.

An Gegenwehr war ohnehin nicht zu denken, unbewaffnet und verletzt, wie er inzwischen war. 'Hätte ich ihn nur gleich zu Anfang mit bloßen Händen angegriffen', sinnierte der Koordinator in seiner Verzweiflung, 'dann hätte er mich vielleicht auf der Stelle getötet ...' Doch dazu war es nun zu spät, Jack Clifton sah sich nicht einmal imstande, überhaupt aufzustehen, von einem Angriff auf seinen schwerbewaffneten Widersacher ganz zu schweigen.

Nein, nein, der einzige Lichtblick, und daran hegte der hochrangige Beamte keinen Zweifel, war der dritte Mann, der nach geraumer Zeit die Nebentür geöffnet und auf der Bildfläche erschienen war. Er erkannte in ihm undeutlich den Doppelgänger Sergio Lampurtinis, doch was spielte diese Geschichte, die ihn ursprünglich veranlaßt hatte, hierzukommen, nun noch für eine Rolle?

"Ich muß nachdenken, ich muß unbedingt nachdenken", murmelte der Koordinator und versuchte, sich im Sessel etwas hochzustützen. Da schlugen zugleich mit dem verhaßten Plopp die nächsten beiden Projektile ein; diesmal wurde der Koordinator am linken Knie und an der rechten Schulter getroffen.

"Verdammt noch mal", schrie er in einer Mischung von Wut und rasendem Schmerz, "ich habe dich immer gut bezahlt. Was also willst du von mir?"

"Hättest du deinem neuen 'Freund' zugehört", und auf dieses Wort legte der Headhunter eine besondere Betonung, "könntest zu begriffen haben, daß du bei dieser Frage schon von völlig falschen Voraussetzungen ausgehst."

Sergio Lampurtini hob erneut zu einer Erklärung an, ihm schien es nichts auszumachen, daß der Koordinator ihm nicht einmal zugehört hatte. Doch Mike Rosefield, der immer noch in drei Meter Entfernung vor seinem Opfer stand, gebot ihm mit einer knappen Handbewegung zu schweigen.

"Showtime is over. Du hast deine Chance gehabt, Koordinator." Es war das erste Mal, daß der Headhunter sein Gegenüber mit diesem Titel ansprach. Sergio Lampurtini, der sich in seiner Rolle als stiller Beobachter vergleichweise wohlzufühlen schien, hörte gespannt zu und konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, als habe es in dieser Situation mit der Erwähnung dieses Titels eine besondere Bewandtnis.

"Gib' dir keine Mühe", wandte sich der Headhunter nun wieder seinem italienischen Gast zu. "Er wird dir nicht zuhören, weil es ihn nicht interessiert. Er denkt, so weit er dazu überhaupt in der Lage ist, darüber nach, warum die von ihm georderten Hilfstruppen noch immer nicht aufgetaucht sind."

"Was? Was sagen Sie da?" Bei dem, was er eben glaubte verstanden zu haben, sprang Jack Clifton ungeachtet seiner zahllosen Wunden auf und ging sogar ein paar Schritte auf den Headhunter zu.

"Sie sollten doch eigentlich in der Lage sein, meine technischen Möglichkeiten etwas differenzierter einzuschätzen, Koordinator. Ober meinen Sie, ich wäre nicht fähig, Ihre lächerliche Impulsfrequenz zu entschlüsseln und in leicht modifizierter Form weiterzuleiten?"

"Was wollen Sie damit sagen?" fragte der Koordinator, während er zurückwankte und sich wieder in den Sessel fallenließ. Der Headhunter ließ diese Frage unbeantwortet und wandte sich statt dessen Sergio Lampurtini zu, der ganz offenkundig am allerwenigsten verstand, welche Wendung diese bizarre Situation gerade genommen hatte.

"Dein neuer Freund, der Mörder deiner Frau, ist nämlich nicht ohne Rückendeckung hier", fuhr Mike an Sergio gewandt fort.

Der Italiener wirkte geistesabwesend. "Wieso sprichst du immer von Clarissas Mörder, wenn du ihn meinst? Er war doch gar nicht in der Todeszone, als es passierte, oder?" fragte er unsicher.

"Lenk' jetzt nicht ab, wir haben keine Zeit mehr", entgegnete der Headhunter. Mike Rosefield sah kurz auf seinen Chronometer und schien kurz nachzudenken. Doch dann, urplötzlich und ohne jede Vorwarnung, tauchte er in eine Vision ein, die er in diesem Moment am allerwenigsten gebrauchen konnte. Er kämpfte mit eisernem Willen diese seltsame Anwandlung so weit wie möglich nieder, um zumindest seine zwei Kontrahenten weiterhin in Schach halten zu können. Sie brauchten schließlich nicht zu wissen, daß er nicht mehr so ganz Herr seiner selbst war.


*


Darjas Antlitz stand wie leibhaftig vor ihm; allerdings war ihr Gesicht so durchlässig und halbmateriell, daß er die Umrisse des Zimmers wie bei einer doppelt belichteten Fotographie noch schemenhaft ausmachen konnte.

"Oh Mike, was bist du doch für ein Dummkopf!" sagte sie mit ihrer ihm so wohlvertrauten Stimme und lächelte verschmitzt. "Glaubst du denn wirklich, das würde dir was bringen?"

"Aber ...", setzte Mike Rosefield zu einer Antwort an, ehe ihm gewahr wurde, daß außer seinem Erzfeind Jack Clifton und dieser italienischen Kanalratte ihn niemand hören würde. Doch Darja ließ nicht locker. "Hau' ihn tot oder mach sonstwas mit ihm, es wird dir kaum Genugtuung verschaffen, und mir schon gar nicht."

"Darja, ich versteh' nicht ...", der Headhunter kümmerte sich nicht weiter um die beiden Männer, die ihn mit verängstigten Gesichtern anstarrten. Doch bevor er in Worte fassen konnte, was er seine vor vielen Jahren verstorbene Frau hätte fragen wollen, verblaßte die Vision oder was auch immer es gewesen sein mochte.


*


Augenblicklich konzentrierte sich der Headhunter auf seine Kontrahenten, die während seiner Auszeit keinen Finger gerührt zu haben schienen. Die Waffe noch immer fest umschlossen, drückte er zuallererst auf den Auslöser, und drei weitere Plopps verrichteten ihr blutiges Werk.

Mike Rosefield hörte die weiteren Schreie des Koordinators, doch sie erreichten ihn nicht mehr. Der Gedanke an Rache, der ihn über all die Jahre vorangetrieben hatte, löste sich in Luft auf. Daß dieser Mensch sterben mußte, war für den Headhunter nur noch eine reine Zweckmäßigkeit, wie es eben seiner zur ersten Natur gewordenen Gewohnheit entsprach, niemals Spuren in Form lebender Zeugen zu hinterlassen.

Er ließ die Waffe langsam sinken und verstellte ihren Modus auf 'letal'. Die Zeit der Spielchen war endgültig vorbei, und bei diesem Gedanken sah der Headhunter erschrocken auf seinen Chronometer: Der Zeitpunkt des endgültigen Countdowns rückte unaufhaltsam näher - X minus 12, könnte man sagen.

"Hey, Mister", fing der Koordinator zu sprechen an.

"Was heißt denn hier 'Hey, Mister'?" entgegnete der Headhunter. "Tu doch nicht so, als wüßtest du nicht, wer ich bin!" Das Gesicht Darjas stand noch immer vor seinem inneren Auge, doch er konnte den Mann, den er hier vor sich hatte, kaum noch mit ihr und ihrem Tod in Zusammenhang bringen. An den Fakten gab es nichts zu rütteln, der Koordinator hatte Darjas Tod zu verantworten, welche Handlanger auch immer die Brandsätze damals in diesem Haus gelegt haben mochten.

"Also was ist, Mister 'hey, Mister'?" fragte der Headhunter, auf den diese Berufsbezeichnung eigentlich nicht mehr zutraf; schließlich war er längst dabei, seinen früheren Auftraggeber sozusagen scheibchenweise zu Tode zu bringen.

"Ich wollte nur sagen", stammelte der Koordinator, "daß es mir leid tut. Ich meine, dieses Unglück damals, als Ihre Frau zu Tode kam."

Mit wenigen Schritten stand Mike Rosefield vor dem Schwerverletzten. "Du kannst von Glück sagen, daß deine Schmerzen mir keine Befriedigung mehr verschaffen. Spar' dir deine Ablenkungsmanöver und streng' deinen Grips mal ein bißchen an. Wenn du schon begriffen hast, daß ich in der Lage bin, deinen lächerlichen Impulscode zu dechiffrieren, könnte dir auch allmählich dämmern, daß deine so schlau eingefädelte Alternative Beta kein Geheimnis für mich ist! Du wirst deine 'Morgenröte' noch erleben, aber vielleicht anders, als du es dir vorgestellt hast!"


*


Major O'Connor konnte seine aufkeimende Nervosität kaum verbergen. Was zunächst den Anschein eines Routinejobs hatte, entwickelte sich allmählich zu einem echten Koan. An einen technischen Versager glaubte der Offizier inzwischen nicht mehr; er mußte es hier mit einem technisch schwer einzuschätzenden oder - geben wir es ruhig zu - überlegenen Gegner zu tun haben. An eine harmlose Erklärung für den ortungstechnischen Gesamtausfall gerade in diesem Haus in einer ansonsten energetisch völlig intakten Wohnstraße mochte glauben, wer will.

"Moulder", brüllte der Offizier in seiner in einem Möbelwagen getarnten Einsatzzentrale. Augenblicklich steckte der Ortungstechniker seinen Kopf durch die Fensterscheibe.

"Ja, Sir?"

"Immer noch nichts Neues?"

"Nein, Sir. Ich würde sofort Meldung erstatten."

"Und Ihre Einschätzung der Sachlage?"

"Nun Sir, wenn ich mir eine Spekulation erlauben darf ...", begann Fernand Moulder umständlich.

"Ich bitte darum", sagte der Offizier mit leisem Spott.

"Ja, wenn Sie mich so fragen, haben wir es hier mit Experten zu tun, die ..."

"Was heißt denn 'Experten'?" unterbrach O'Connor seinen Untergebenen. "Sie sind doch hier der Experte, oder etwa nicht? Wie habe ich denn das zu verstehen?"

Moulder fühlte sich äußerst unbehaglich. Wie sollte er von Geheimnissen sprechen, die er und seinesgleichen bei Gefahr für Leib und Leben nicht wissen durften? Daß es 'graue Eminenzen' gab, getarnte Geheimdienstleute oder was auch immer, die niemandem Rechenschaft schuldig waren außer ihren Auftraggebern an höchster Regierungsstelle, war ein Gerücht, das sich mit aller Gewalt nicht ausmerzen ließ. Insbesondere nicht unter Ortungstechnikern, die immer wieder auf Phänomene stießen, die sich nach ihrem Wissens- und Ausrüstungsstand nicht erklären ließen.

"Nun, Moulder? Ich warte", fragte Major O'Connor ungedulig.

"Ja, Sir. Aus den Meßergebnissen, die wir hier vorliegen haben, läßt sich eigentlich nur eine Schlußfolgerung ziehen."

"Ja, und welche? Nun kommen Sie mal zur Sache, Mann!"

"Es muß sich um eine uns überlegene Technologie handeln", formulierte der Techniker mit aller Vorsicht.

"Und weiter? Haben wir es hier vielleicht mit Außerirdischen zu tun?" Die Stimme des Offiziers troff vor Sarkasmus, und zugleich wußte er, daß er seinen Unmut an einem Unschuldigen ausließ. Doch wozu hatte man schließlich Untergebene!

"Also gut, machen Sie weiter", sagte er einlenkend, und Fernand Moulder war heilfroh, wieder an seine Arbeit zurückkehren zu können, auch wenn ihm klar war, daß er mit seinen Mitteln den Ortungsschutz dieses Hauses nicht neutralisieren konnte. Er tappte völlig im Dunkeln. Die Frequenz des Störsenders, wenn es denn einen gab, ließ sich nicht einmal eingrenzen, von einer Lokalisation der Quelle ganz zu schweigen.


*


Jack Clifton riß sich zusammen. Die zahllosen Wunden an seiner Körperoberfläche fingen mehr und mehr an zu brennen; so als hätten die Projektile auch noch einen schmerzverstärkenden, vielleicht leicht ätzenden Zusatz enthalten. Konnte das angehen? Es bereitete dem Koordinator große Mühe, sich überhaupt auf diese Frage zu konzentrieren. Immer wieder entglitt ihm der zuletzt gefaßte Gedanke; es kam ihm so vor, als fische er absolut im Trüben, jeder Gedankenschritt ließ ihn tiefer im Morast seines wirren Bewußtseins einsinken.

"Wo ist bloß mein scharfer Verstand geblieben?" fragte er sich in einem lichten Augenblick. "Oder ist das etwa der Normalzustand?" Der Koordinator gab es auf, eine Antwort auf diese Frage hätte ihm ohnehin nichts genützt.

Und fast gegen seinen Willen gewann das eigentlich dringendere Problem die Oberhand - die Aktion 'Morgenröte'. Sie sollte sein letzter Trumpf sein, die Lebensversicherung, wenn alle anderen Stricke reißen. Und nun redet dieser Mensch daher, als hätte er die installierten Sprengladungen längst unter seiner Kontrolle. War so etwas möglich?

Jack Clifton schielte auf seinen Chronometer. 08.08 Uhr! Das bedeutete im Klartext: X minus 7! Nur noch sieben Minuten, und dann würde, wenn er keinen widerrufenden Impuls nach draußen sendete, dieser Bungalow mit seiner unmittelbaren Umgebung in die Luft fliegen! Einfach so, ohne Wenn und Aber! Unauffällig musterte der Koordinator den Mann, der ihm bereits so schweres Leid zugefügt hatte. Daß sich hinter seinem besten Killer ein Psychopath verbarg, der ihm seine Fürsorge eines Tages so danken würde - wer hätte das ahnen können? Aus der psycho-hygienischen Akte über diesen ehemaligen Söldner ging nichts Derartiges hervor. 'Aber wahrscheinlich', so überlegte der Sicherheitsbeamte, 'haben diese Typen alle einen Schuß weg'.

Wenn also Mike Rosefield tatsächlich im Bilde war über die Aktion Morgenröte, kannte er dann auch den genauen Zeitpunkt der Explosionskette? Allem Anschein nach nicht, denn der Headhunter hantierte angelegentlich mit seiner Waffe herum, so als wisse er nicht genau, was er als nächstes vorhabe.


*


"Geben Sie mir noch mal die Zentrale", verlangte Major O'Connor. Sergeant O'Brian kam dieser Aufforderung eilfertig nach, denn jede Sekunde, die sein Vorgesetzter beschäftigt war, bedeutet für ihn einen Zeitgewinn.

"Hier Adler", hörte er den Major sagen. Dann eine kurze Pause, bis der Offizier seine Meldung machte.

"Nein. Hundertprozentig nicht. Wir haben die gesamte Umgebung ortungstechnisch im Griff. Es ist mit Sicherheit kein Impuls herausgekommen außer dem Okay-Signal des VIP. Das war um 07.57 Uhr. Auf der Straße und im Haus ist nach wie vor alles ruhig. Es ist jetzt 8.11 Uhr, Alternative Beta müßte laut Plan in vier Minuten eingeleitet werden. Können Sie bestätigen, daß kein Widerruf herausgekommen ist?"

Danach wieder Schweigen. Sergeant O'Brian versuchte am Gesicht des Majors die Antwort der Zentrale abzulesen, doch die Miene des Offiziers blieb wie immer ausdruckslos.

"Habe verstanden. Jawohl. Ich trage die volle Verantwortung. Adler Ende." Jonathan O'Brian war sensibel genug, um in diesem Moment nicht zu fragen, welche Antwort aus Brüssel gekommen war. Wenn seinem Vorgesetzten dieser Plan Beta, was immer es sein mochte, derartiges Kopfzerbrechen bereitete, mußte es schon etwas Schwerwiegendes sein.


*


"Nur nicht ungeduldig werden, mein Freundchen", drang Mike Rosefields Stimme recht unvermittelt an Jack Cliftons Ohr, der nach einem Anflug von Bewußtlosigkeit noch tiefer in seinen Sessel gerutscht war. "Nur noch wenige Minuten, dann hast du deine Morgenröte."

Wieder einmal fühlte sich der Koordinator völlig durchschaut. Dieser Kerl wußte aber auch alles! Aber was hatte er vor? Wollte er seelenruhig zulassen, daß hier alles in die Luft flog? Der gebürtige Brite sah noch einmal verstohlen auf seinen Chronometer. 08.13 Uhr - nur noch zwei Minuten!

"Vielleicht gelingt es Ihnen ja, das drohende Unheil von uns abzuwenden", schlug der Headhunter mit teilnahmsloser Miene vor. "Haben Sie's denn schon mal versucht?"

Jack Clifton raffte sich auf, wollte sich aufrichten, doch augenblicklich wurde ihm schwarz vor Augen. "Na los, Sergio, so hilf ihm doch. Worauf wartest du denn?" Der ehemalige Hochenergie- Ingenier hatte sich, wie er meinte, unauffällig dem Fenster genähert und spähte vorsichtig hinaus. "Suchst du da draußen irgendetwas? Du kannst sicher sein, daß die Soldaten nicht zu sehen sind." Noch immer klang Mikes Stimme, als habe der Headhunter alle Zeit der Welt.

Gehorsam wandte Sergio Lampurtini sich um, ging auf den Koordinator zu und stützte ihn. Nur mühsam richtete Jack Clifton sich auf, griff mit zittriger Hand in seine Jackentasche und holte einen kleinen Impulsgeber heraus.

"Na also", kommentierte Mike Rosefield, "wird auch Zeit. Wir haben schon 08.14 Uhr. Klappt's denn?"

Der Koordinator kämpfte seine erneut aufsteigende Bewußtlosigkeit nieder. 'Jetzt nur nicht schlapp machen', dachte er und nahm alle Willenkraft zusammen, um mit seinen blutverschmierten Fingern den entscheidenden Impuls, der ihrer aller Leben retten würde, zu geben. Das Gerät war nur für diesen Zweck konzipiert, eigentlich konnte nichts schiefgehen, doch dann, als er endlich den Knopf ertastet und gedrückt hatte, geschah gar nichts. Das Gerät blieb energetisch tot, der bestätigende Piepton war einfach nicht zu hören.

Jack Clifton fehlte die Kraft, um sich nun noch gegen sein Schicksal aufzulehnen. Nicht so Sergio Lampurtini, der urplötzlich begriffen zu haben schien, was in diesen Sekunden eigentlich auf dem Spiel stand. Der Italiener sprang auf und drehte sich dem Headhunter zu. "Verdammt nochmal, so tun Sie ..." Doch die Worte blieben ihm im Halse stecken, denn Mike Rosefield war weit und breit nicht zu sehen. Der Headhunter, der keiner mehr war, schien sich in Luft aufgelöst haben.

"Verdammte Scheiße", schrie der Italiener, "ich will nicht sterben!"

(Ende des 11. Teils)


*


Das Leben von Jack Clifton und Sergio Lampurtini scheint keinen Pfifferling mehr wert zu sein. Die vernichtende Explosion, vom Koordinator selbst als 'Schutzmaßnahme' inszeniert, steht unmittelbar bevor. Was aber ist mit Mike Rosefield? Wie konnte der ehemalige Headhunter so plötzlich verschwinden?

Lesen Sie weiter in der nächsten Headhunter-Folge: Teil 12: Der letzte große Knall


Erstveröffentlichung am 23. Mai 1997

15. Januar 2007