Schattenblick →INFOPOOL →UNTERHALTUNG → REISEN

METROPOL/015: Im Interesse der anderen (SB)


Im Interesse der anderen
Einige Worte zu dem Thema zu vieler Worte


Montag, 8. August, 15:30, die Arbeit ist vorbei. Die erste Stunde mit den Kleinen war laut, anstrengend. Danach ging es. Mit dem Bus geht es nach Hackney, noch kurz was besorgen, dann weiter. 16:30, der Laden ist geschlossen. Um diese Zeit? Also dann zurück zur Haltestelle, wo dieses Polzeiaufgebot war - 6 Mannschaftswagen. Nee, doch lieber ein Stück laufen. Haltestelle in Sicht.
Irgendwas stimmt nicht.
Aufgeregte Gesten eines jungen Mannes empfangen mich. Er spricht mit einer Mutter mit Kinderwagen. Zeigt immer wieder zurück Richtung Hackney Central. Was ist los, frage ich. Doch alles, was ich verstehe, ist, dass da ... sind. Und dass sie jetzt im Tesco, also im Supermarkt zwei Straßen weiter, sind. Wer oder was? Ich hatte das Wort noch nie gehört. Es stimmt was nicht.
Weg! Gerade fuhr ein Bus weg. Warten. Nichts kommt. Dann erreicht uns eine Frau: Keine Busse mehr. Alles blockiert. Laufen. Nach 10 Minuten endlich ein Taxi.

Zu Hause angekommen: London brennt. Der Rest ist Geschichte. Erst brennt die Luft, dann Häuser. Es herrscht die Gewalt. Und ja, auch Angst. Mein Haus steht. Ein Haufen vermummter Teenager zieht vorbei, kurz darauf wird eine Frau an der Tube-Haltestelle angegriffen. Läden werden kurz und klein geschlagen. Die permanenten Polizeisirenen untermalen alles in surrealer Dramatik.
Es brennt: Norden, Süden, Westen, Osten.

Die Sonne geht auf, mein Haus steht. Friedlich wirkt die Straße, die Bäume bewegen sich leicht im Wind. Keine Sirenen. Nach einem ruhigen Kaffee in meiner Straße mache ich mich auf, zurück nach Hackney. Denn ich muss meine Besorgungen erledigen, bevor es wieder losgeht, bevor die Schotten im wahrsten Sinne des Wortes dicht sind, denn die Läden schließen dieser Tage auf polizeilichen Rat sehr früh. Doch jetzt ist es halb zwölf am Mittag, die Sonne scheint. Es herrscht Stille. Im Laden angekommen greife ich mir, was ich brauche. Um mich rum kommt Bewegung auf, es sieht nach einem Notfall im Keller aus. Jemand läuft runter. Ich frage nach etwas. 'Nein', heißt es, 'das hätten sie gerade nicht da'. Die Bewegung wird hektisch. Dann: "Du hast gehört, dass es auf der anderen Straßenseite wieder losgeht, ja? Wir schließen jetzt. Ich würde an Deiner Stelle sehen, dass ich nach Hause komme!"

Montag, 8. August, 13:30. Die Tanzstunde, die ich zuerst unterrichte, wird sich mit Schmetterlingen beschäftigen. Mit Schmetterlingen!! Sechzig Minuten. Und es ist laut. Jeder lang erprobte Trick, jede Strenge, jede Konsequenz prallt ab. Ich befinde mich in einer Art Kindertagesstätte. Die Kleinen sind drei bis fünf Jahre alt und alle liebenswert, niedlich. Und gut, sie sind nicht böse oder gemein. Sie wollen tanzen, tun es auch. Jede Übung. Aber zuhören?
Sechzig weitere Minuten, die Kinder sind älter und ruhig. Sie arbeiten mit. Rebellion bleibt nicht aus. Aber auch nicht der Wunsch nach mehr. Die Gier, welche im jungen Wesen liegt. Gier nach Herausforderung, Wissen, Leben.

Foto: © 2010 by Schattenblick

Foto: © 2010 by Schattenblick

Doch in einer Welt, in der es immer mehr Kinder, aber immer weniger Zeit gibt. In der Armut und Politik die Zeit bestimmen, die ein Kind veranschlagen darf. In der erst Kinder geboren und dann die Konsequenzen betrachtet werden. Vier, fünf und auch gerne sechs Kinder pro Frau. Sind sie doch ein Mittel für so vieles, was hier fehlt. Dann fehlt es den Kleinen. Wärme, Nähe und Kommunikation sind nur Schlagworte für etwas, das viel nötiger erfüllt werden muss als das dringliche Bedürfnis zu produzieren. Fünfzig Kinder und drei Erwachsene, umherlaufend in dem verzweifelten Versuch, den Schaden zu begrenzen. Alltag in der Kinderbetreuung.

Alsdann, die Politik, kann sich in solch einer Welt - eingeschliffen im sedierten Wesen - in Ruhe ihr eigenes Werk schaffen, ungestört. Hoppla, nicht gemerkt, geschieht, was immer geschieht: Interessenwirtschaft.

Montag, 8. August 15:30. Ich verlasse einen Raum voller Wärme, voller Intelligenz und Potential. Doch auch einen Raum, in dem das Gefüge schon lange gekippt ist, zusammen mit dem Gewicht, von dem wir doch schon lange wissen.
Es sind nicht Teile unserer Gesellschaft, die krank sind, Mr. Cameron.
Ich hörte eine Stimme, die sagte: Bei der Jugend fehle die Demut. Es fehlt die Demut, das ist richtig. Wo sie allerdings dringend von Nöten ist, auch das denke ich, wissen wir alle schon viel zu lange. Mr. Cameron. Lausche.



Foto: © 2010 by Schattenblick

Foto: © 2010 by Schattenblick











Mit freundlichen Grüßen aus der dunklen Stadt
BB



12. August 2011