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TOURTIP/861: Radeln auf Dichter-Spuren (extratour - DJH)


Deutsches Jugendherbergswerk - extratour Nr. 2, März/April 2007

Touren durch Goethes und Fontanes Heimat
Radeln auf Dichter-Spuren

Von Claudia Heinrich


Goethe und Fontane kannten das Fahrrad noch nicht. Sonst hätten die begeisterten Wanderer sich sicher oft in den Sattel geschwungen und Radfahrerhymnen gedichtet: Auf, auf, über Stock und Stein - durch das grüne Ilmtal oder die Mark Brandenburg. Heute führen gut ausgebaute Radwanderwege auf die Spuren der Dichter und ihrer Zeit.


Statt auf das Stahlross stieg Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe in den Pferdesattel oder schnürte die Wanderschuhe, um das Umland Weimars zu erkunden. Von 1775 bis zu seinem Tod 1832 lebte der Dichter in der thüringischen Stadt an der Ilm. Wer sich heute auf dem Rad durch das Ilmtal bewegt, begegnet vielerorts seinen Spuren. Der Ilmtal-Radwanderweg beginnt auf hohem Niveau am Rennsteig im Thüringer Wald und führt 125 Kilometer weit nordostwärts durch dichte Wälder, Bergwiesen, liebliche Flussauen und weite Ebenen. Vom Höhenwanderweg geht es flott abwärts ins Flusstal Richtung Ilmenau; der Weg ist auch für Kinder geeignet. Rund dreißig Mal besuchte der Dichter die heutige Goethe- und Universitätsstadt und rühmte 1783 in seinem Ilmenau-Gedicht dessen landschaftliche Schönheit: "Anmutig Tal! Du immergrüner Hain!/Mein Herz begrüßt euch wieder auf das beste." Den Radwanderer von heute begrüßen viele Baudenkmäler, die vor Ort an den berühmten Gast erinnern. So wurde im Ilmenauer Amtshaus aus dem 18. Jahrhundert im ersten Stock eine kleine Goethe-Gedenkstätte eingerichtet. Die "Alte Försterei" von 1740, in der Goethe zwei Mal Geburtstag feierte, ist heutzutage ein lebendiges Kulturzentrum.


Wellness à la Goethe

Urlauber, die ihren Drahtesel für einen Tag beiseite stellen wollen, können auf dem Goethe-Wanderweg vom Ortskern aus zu allen markanten Wirkungsstätten in und um Ilmenau gelangen, etwa zum "Goethe-Häuschen" im dichten Fichtenwald. An die Wand der kleinen Schutzhütte schrieb der Dichter am 6. September 1718 die berühmte Gedichtstrophe "Über allen Gipfeln ist Ruh". Radler sollten ihre Weiterfahrt in Richtung Weimar nicht antreten, wenn über allen Gipfeln Ruh ist, sondern lieber bei Tageslicht. Denn auf dem Weg sind allerhand Sehenswürdigkeiten zu besichtigen: Schlösser und Burgen bei Kranichfeld und Tannroda sowie die Kurbadeanstalt von Bad Berka. Das "Goethe-Bad im Grünen" mit eisen- und schwefelhaltigem Heilquellwasser hat der Geheimrat einst als Berater mitkonzipiert. Auch in Weimar schließlich gibt es viel zu entdecken.

Die UNESCO-Weltkulturerbestadt ist von der Klassik geprägt. Etliche bekannte Zeitgenossen des Dichters hinterließen hier ebenfalls ihre Spuren, darunter Schiller, Herder, Bach und Liszt. Museen, Archive, Schlösser und Parkanlagen laden zu ausgedehnten Besichtigungstouren ein. Goethes einstiges Wohnhaus am Frauenplan ist heute Goethe-Nationalmuseum. Auch in seinem bescheidenen Gartenhaus am Rande des Parks an der Ilm, wo er einige bedeutende Dramen schrieb, richtete man ihm zu Ehren ein Museum ein.


www.ilmtal-radwanderweg.de

Ilmtalradweg
JH Ilmenau, Tel. 03677 884681
JH Gräfenroda, Tel. 036205 76290
JH Weimar, JGH am Ettersberg, Tel 03643 421 111
JH Weimar, JGH Maxim Gorki, Tel. 03643 850 750
JH Weimar, Am Poseckschen Garten, Tel 03643 850 792
JH Weimar, Germania, Tel. 03643 850 490
JH Bad Sulza, Tel. 036461 20567


Bei Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland

Was Goethe für Weimar, ist Fontane für Brandenburg. Mit seinen "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" setzte der 1819 in Neuruppin geborene Theodor Fontane seiner Heimat ein literarisches Denkmal. Rund drei Jahrzehnte lang war der berühmte Autor und Reisefeuilletonist in der Grafschaft Ruppin, im Oderland, Havelland und Spreeland unterwegs und beschrieb Land, Leute und Geschichte. Die Landstriche, die Fontane ab 1860 zu Fuß durchstreifte, sind heute mit dem Rad bequem zu erfahren. Von Berlin-Spandau aus führt der rund 100 Kilometer lange Havelland-Radweg durch flaches Land, weite Felder und Wiesen westwärts bis zur Landesgrenze von Sachsen-Anhalt. Auf halber Strecke liegt der Ort, wo der großzügige Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland aus Fontanes Gedicht Birnen verschenkte. Den Gutsherrn samt Birnbaum gab es tatsächlich, sein schlossähnliches Herrenhaus wird zurzeit restauriert.

Wer sich auf Fontanes Spuren durch die Mark Brandenburg bewegt, vielleicht mit Band 1 der "Wanderungen" (die Grafschaft Ruppin) in der Satteltasche, kommt an seiner Geburtsstadt nicht vorbei. Der 57 Kilometer lange Rhinluch-Radweg führt von Hennigsdorf im Norden Berlins geradewegs nach Neuruppin. Fontanes Geburtshaus mit der Löwenapotheke im Erdgeschoss ist heute noch erhalten. Im Fontane-Zentrum im Alten Gymnasium kann man eine Dauerausstellung über den Schriftsteller besuchen und bei einem Bummel das klassizistische Stadtbild bewundern. Die Bauten des nach dem Stadtbrand 1787 neu konzipierten Zentrums haben einen weiteren berühmten Sohn Neuruppins geprägt: den Architekten Karl Friedrich Schinkel (1781-1841).


Sonnenbeschienene Seen und würzige Landluft

"Ausgestreckt am Hügelabhang, den Wald zu Häupten, den See zu Füßen, so träumst du hier, bis die wachsende Stille dich erschreckt." So malerisch, wie Fontane die Ruppiner Landschaft zwischen Neuruppin und Rheinsberg im Norden vor 150 Jahren beschrieb, ist sie noch heute: Glitzernde Seen, dichte Wälder und endlose Felder säumen die Radwege. Kein Wunder, dass es den Dichter Fontane häufig hinaus aufs Land trieb. Von Neuruppin aus bietet sich eine Tagestour durch die Ruppiner Schweiz an nach Neuglobsow am Großen Stelchinsee, dessen reizvolle Umgebung - heute ausgedehntes Naturschutzgebiet - Fontane zu seinem Spätwerk "Der Stechlin" inspirierte. "Der See liegt glatt und sonnenbeschienen vor dir, aber es ruft aus ihm", erinnert er sich schwärmerisch in den "Wanderungen". "Die Bäume rühren sich nicht, aber es zieht durch sie hin, aus dem Walde klingt es, als würden Geigen gestrichen, und nun schweigt es, und ein fernes, fernes Läuten beginnt. Wer über gute Kondition verfügt, folgt diesem poetischen Klang und fährt weiter nordwärts. Der 630 Kilometer lange Radfernweg Berlin-Kopenhagen führt von der Hauptstadt her, vorbei am Großen Stechlinsee, geradewegs bis zur Ostsee. Die würzige Brandenburger Landluft erfrischt und muntert auf. Hätte Goethe schon das Fahrrad gekannt, hätte er hier vielleicht einen ganz anderen "Erlkönig" verfasst: "Wer radelt so fit durch Wald und Wind ..."


www.havellandradweg.de
www.reiseland-brandenburg.de
www.ruppinerreiseland.de

Radfahren in Brandenburg
JH Berlin, Am Wannsee, Tel. 030 80 320 34
JH Berlin, Ernst Reuter, Tel. 030 4041610
JH Berlin International, Tel. 030 2611097
JH Potsdam, Tel. 0331 5813100
JH Milow, Tel 03386 280 361


Unterwegs auf Kunstwegen

Viele (Rad-)Wege führen zur Kultur. Dabei sind es nicht nur architektonische und literarische Landmarken, die Radwanderrouten säumen. Einige Strecken bieten auch künstlerische Hingucker. So dekorieren Skulpturen ein Teilstück des Werratal-Radwegs, der vom thüringischen Rennsteig bis nach Hannoversch Münden führt. Auf der Fahrt durchquert man das Rennaissancestädtchen Hildburghausen, in dem das bekannte Meyers Lexikon entstand, die Theater- und Musikstadt Meiningen und schließlich das Grimmsche Märchenland. Ab Wanfried führt der Weg nicht nur vorbei an idyllischen Fachwerkfassaden - hier steht echte Kunst am Wegesrand. die "Freiluftgalerie Kunst am Radweg" zeigt fantasievolle Installationen, zum Beispiel monumentale Kirschensäulen und Großplastiken aus Stahl oder Holz zum Thema Fahrrad, geschaffen von Künstlern aus der Region. Mit internationaler Kunst wartet die Vechtetalroute auf, die von der Quelle der Vechte in Darfeld (Kreis Coesfeld) über Nordhorn bis ins niederländische Zwolle führt, vorbei an Wind- und Wassermühlen, Wiesen, Weiden, Heide und Moor. Die 132 Kilometer lange Strecke ab Nordhorn ist als "kunstwegen" bekannt: An mehr als 60 Standorten haben renommierte Künstler Skulpturen platziert, die in Verbindung mit der umliegenden Flusslandschaft stehen oder mit kulturellen Sehenswürdigkeiten vor Ort in Dialog treten. Entstanden ist ein allzeit geöffnetes Museum für zeitgenössische Kunst inmitten der Natur, das Neugier weckt, zum Nachdenken anregt, aber auch Leichtigkeit verbreitet.


www.werratal.de
www.kunstwegen.de


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Quelle:
extratour Nr. 2, März/April 2007, S. 18-21
Die Zeitschrift für Mitglieder im Deutschen Jugendherbergswerk
Herausgeber: Deutsches Jugendherbergswerk DJH
Hauptverband für Jugendwandern und Jugendherbergen e.V.
Leonardo-da-Vinci-Weg 1, 32760 Detmold
Tel.: 05231/99 36-0, Fax: 05231/99 36-66
Internet: www.jugendherberge.de

Erscheinungsweise: zweimonatlich
Der Bezugspreis der Zeitung ist im
DJH-Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juli 2007