Schattenblick →INFOPOOL →UNTERHALTUNG → REISEN

TOURTIP/932: Das Rückhaltebecken Straußfurt in Thüringen (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 6/2009

Das Rückhaltebecken Straußfurt in Thüringen:
Bedeutendes Vogelrastgebiet zwischen Thüringer Wald und Harz

Von Thomas Brandt, Christoph Moning und Christian Wagner


Eingebettet zwischen den Höhenzügen des Thüringer Walds im Süden und den Ausläufern des Harzes im Norden liegt das Rückhaltebecken Straußfurt inmitten des Thüringer Beckens. Die Senke gehört neben der Magdeburger Börde und der Leipziger Tieflandsbucht zu den fruchtbarsten Regionen Deutschlands. Dementsprechend ist das Gebiet durch intensive landwirtschaftliche Nutzung geprägt. Das Rückhaltebecken liegt am Westrand von Straußfurt und wurde von 1952 bis 1962 erbaut, um Hochwasser der Unstrut, die das Staubecken und auch das Thüringer Becken von West nach Ost durchfließt, aufnehmen zu können. Es ist von Mai bis Oktober geflutet und hat sich im wasserarmen Thüringen zu einem herausragenden Rastgebiet für Wasservögel entwickelt, auch weil keine nennenswerten menschlichen Aktivitäten wie Bootsverkehr, Badebetrieb, Fischerei oder Jagd erlaubt sind. Das Rückhaltebecken Straußfurt ist Teil des von Thüringen an die EU gemeldeten Natura 2000 Gebiets bzw. Europäischen-Vogelschutzgebiets "Gera-Unstrut-Niederung um Straußfurt".

Lebensräume

Das Rückhaltebecken Straußfurt war zunächst als grünes Becken, welches nur bei Hochwasser geflutet wird, konzipiert. Heute ist es bei normaler Stauhöhe ein flaches Gewässer. Im Juli und August kommt es aufgrund von Erwärmung und Nährstoffreichtum regelmäßig zur Bildung von Algenteppichen. Die Größe der Wasserfläche beträgt etwa 250 ha. Ost- und Westseite bestehen aus befestigten Dämmen, Nord- und Südufer dagegen sind naturnah gestaltet. Vor allem der Einlauf der Unstrut an der Südwestseite weist großflächige Schilf- und Rohrkolbenbestände auf. Bei extremen Hochwasserereignissen, kann das Becken auf einer Fläche von bis zu 700 ha überstaut werden. Dann sind auch die Bereiche westlich der regulären Wasserflächen überflutet. Sie werden normalerweise als Mähwiesen, Rinderweiden und Ackerflächen genutzt. Entlang der Unstrut befinden sich Baumreihen, die überwiegend aus Pappeln und teilweise auch aus Kopfweiden bestehen.

Interessante Arten

Aktuell brüten zehn Wasservogelarten regelmäßig auf dem Rückhaltebecken. Dies sind Höckerschwan, Schnatter-, Stock-, Tafel- und Reiherente sowie Zwerg- und Haubentaucher, Blässhuhn, Wasserralle und Teichhuhn. Weitere Arten wie Brandgans und Knäkente brüten unregelmäßig, sind aber stetig zu beobachten. Beutelmeisen, Drosselrohrsänger und Blaukehlchen nutzen die Verlandungszonen. Im westlich anschließenden Grünland kann man Rohrweihen, Rot- und Schwarzmilane, Raubwürger, Neuntöter und Grauammern beobachten. Zur Mauser und Herbstrast versammeln sich mehrere Tausend Wasservögel auf dem See. Für Höckerschwan, Graugans, Löffelente, Tafelente und Haubentaucher wurden thüringenweit die höchsten Rastbestände festgestellt. Herausragend ist auch die Bedeutung als Kranichschlafplatz (mehr als 1000 Individuen). Im Frühjahr und vor allem im Herbst treten regelmäßig Kiebitz- und Goldregenpfeifer, Kiebitze, Flussregenpfeifer, Große Brachvögel, Bekassinen, Flussuferläufer, Dunkle Wasserläufer, Rot- und Grünschenkel, Bruchwasserläufer, Kampfläufer, Alpenstrandläufer, Zwerg-, Lach-, Sturm- und Großmöwen sowie Trauerseeschwalben auf. Die großen Vogelansammlungen ziehen insbesondere im Herbst regelmäßig Seeadler und Wanderfalken an. Nordische Gänse überwintern seit einigen Jahren vermehrt in Straußfurt. Auch Bergpieper sieht man im Winter regelmäßig an der Talsperre. Bisher wurden am Rückhaltebecken Straußfurt 228 Vogelarten nachgewiesen.

Reisezeit

Die Beobachtungsbedingungen am Rückhaltebecken ändern sich im Jahresverlauf stark. Verantwortlich sind die jahreszeitlich regelmäßig schwankenden Wasserstände, die einen sehr großen Einfluss auf die an Wasser gebundenen Vogelarten haben. Im Frühjahr ist der See abgelassen und bietet vor allem für spät ziehende Limikolen sehr gute Rastbedingungen. Diese werden umso mehr angelockt, da im Umkreis kaum weitere Rastflächen vorhanden sind. Der Einstau erfolgt in der zweiten Aprilhälfte bis Anfang Mai. Danach wird der Wasserstand stabil gehalten, was den brütenden Wasservögeln günstige Bedingungen bietet. Aufgrund seiner Störungsarmut und des konstanten Wasserstands ist Straußfurt einer der wichtigsten Mauserplätze Thüringens für Wasservögel, besonders für Tafel- und Reiherente. Mit dem Ablassen des Speicherbeckens im Oktober verschwinden allmählich rastende Graugänse, Löffelenten, Tauchenten und Lappentaucher, die vorher regelmäßig große Ansammlungen bildeten. Dafür finden Krickenten, Kraniche, spät ziehende Limikolen, wie Bekassine und Alpenstrandläufer sowie regelmäßig mehr als 1000 Kiebitze in den ab Mitte Oktober vorhandenen großflächigen Flachwasserbereichen gute Rastbedingungen vor. Früh ziehende Limikolenarten müssen dagegen mit den Algenteppichen vorliebnehmen und sind deswegen in geringerer Zahl anzutreffen. Im Winter ist das Rückhaltebecken weitgehend trocken. Je nach Restwasserflächen halten sich trotzdem zirka 2000 Vögel - vor allem Stockenten - im Beckenbereich auf. Außerdem halten nordische Gänse recht lange in Straußfurt durch.

Beobachtungsmöglichkeiten

Es gibt eine Reihe erreichbarer Punkte, die einen Überblick über den See ermöglichen. Wenn man auf der B 4 von Erfurt Richtung Straußfurt fährt, kann man südlich von Straußfurt nach links in den Ort Henschleben abbiegen. Die "Straße der Einheit" führt ins Dorf, um nach 300 m an einer T-Kreuzung zu enden. Hier biegt man nach links in die "Hauptstraße" ab und hält sich nach 50 m vor der Kirche nach rechts. Ein kleines Sträßchen führt auf einen Damm, von dem man einen ersten sehr guten Blick über das Becken und den Mündungsbereich der Unstrut hat. Dies ist ein guter Platz für die Beobachtung von Schilf bewohnenden Vogelarten. Man kann dem Damm weiter folgen, muss aber spätestens in einer Rechtskurve (Pumpwerk) parken. Der Westdamm darf nicht betreten werden, es lohnt sich aber mit dem Spektiv den Dammfuß nach Limikolen abzusuchen. Vor allem im Herbst kann man hier Glück haben. Der Weg links des gesperrten Damms führt in und um den Polder. Zur Brutzeit ist diese Wanderung recht lohnend. Wenn man zu Fuß unterwegs ist, kann man am Nordrand des Polders und später am Nordrand des Teilstaubeckens bis nach Straußfurt gehen. Mit dem Auto fährt man zurück in den Ort Henschleben und kann dann der "Hauptstraße" nach Osten folgend nach knapp 300 m einen weiteren Übersichtspunkt über das Becken erreichen.

Ein sehr wichtiger Übersichtspunkt liegt auf der Nordseite des Rückhaltebeckens am Ortsrand von Straußfurt. Man nimmt die B 4 von Henschleben nach Straußfurt hinein und biegt 100 m nördlich des Ortseingangs nach links auf die B 176 ab. Die Straße führt kurz darauf unter der Eisenbahnlinie hindurch. Nach 800 m, direkt hinter der Bushaltestelle "Straußfurt, Schwerstedter Straße", biegt man links in die Straße "Am Staudamm" ab und gelangt so nach 100 m zu einer Sammelstelle für Altglas, wo man gut parken und beobachten kann. Enten und Limikolen halten sich gerne hier auf. Ein weiterer guter Übersichtspunkt erschließt sich, wenn man vom Parkplatz 900 m dem nach Westen führenden Feldweg folgt und dann den kleinen Fußpfad nach links nimmt. Er führt in 600 m zum Seeufer und zu einem weiteren guten Übersichtspunkt.

Weitere Beobachtungs- und Freizeitmöglichkeiten

Wie Grabfunde belegen, war das Thüringer Becken um Straußfurt schon in der Jüngeren Steinzeit und Bronzezeit besiedelt. Die Gemeinde wird im Jahr 744 als Stuffefurte erstmals schriftlich erwähnt. Der Name bedeutet wohl eine "von Strauchwerk gesäumte Furt". Sehenswert ist vor allem die Kirche St. Petri, die zwischen 1616-1620 durch Umbau einer älteren Kirche entstanden ist.

Das Straußfurter Hölzchen im Norden der Gemeinde ist eine bewaldete Erhebung, die als Kultstätte genutzt wurde. Rot- und Schwarzmilane brüten hier. Auf der benachbarten Adonisröschenwiese kann man im April/Mai die gelben Blüten des Frühlingsadonisröschens (Adonis vernalis) entdecken.

Ornithologisch interessant sind die 9 km südwestlich von Straußfurt gelegenen Herbslebener Teiche, die vor allem Schilfvögeln Lebensraum bieten. So beherbergt das NSG und Europäische Vogelschutzgebiet den einzigen regelmäßig besetzten thüringischen Brutplatz der Bartmeise. Das Teichgebiet erreicht man von Straußfurt über Schwerstedt, Ballhausen nach Bad Tennstedt fahrend. In Bad Tennstedt biegt man nach links Richtung Herbsleben auf die L 1027 ab. Direkt am nördlichen Ortseingangsschild von Herbsleben zweigt die Zufahrt zu den Herbslebener Teichen nach links ab. Der Plattenweg führt nördlich einer Kleingartenanlage am Betriebsgelände eines Kalkwerks vorbei in 1,8 km zu einem ausgeschilderten Parkplatz an einer Übersichtstafel. Weiter geradeaus gehend kann man die relevanten Teiche einsehen. Die Lehnstedter Höhe, 7 km östlich des Zentrums von Weimar bzw. 38 km südöstlich von Straußfurt, hat eine gewisse Berühmtheit als traditioneller und zuverlässiger Rastplatz des Mornellregenpfeifers erlangt. Die beste Zeit für die Beobachtung dieses seltenen Durchzüglers ist vom 20. bis zum 30. August. Man verlässt die A 4 an der Anschlussstelle Apolda, fährt nach Norden Richtung Mellingen und Apolda, und erreicht 2,3 km nach Passieren des Ortsausgangsschilds von Mellingen die Einfahrt des links liegenden Flugplatzes. Die lokalen Experten möchten, dass die landwirtschaftlichen Wege, obwohl nicht explizit gesperrt, nicht befahren werden, um Konflikte mit Landwirten zu vermeiden. Deswegen stellt man sein Auto am Flugplatz ab. Der Weg nach Osten führt in maximal 1,5 km leicht bergauf bis zu dem linkerhand erkennbaren trigonometrischen Punkt (vier Holzstangen), der ein guter Anhaltspunkt ist. Wenn man hier kein Glück hat, muss man die angrenzenden Bereiche nach umgepflügten Äckern absuchen.



Infomaterial/Literatur:

Laußmann, H. & S. Frick (2008): Die Vogelwelt des Rückhaltebeckens Straußfurt mit besonderer Berücksichtigung der Wasservögel im Zeitraum 2001-2005. Anzeiger des Vereins Thüringischer Ornithologen 6, 1-32.

Wagner, C. & C. Moning (2009): Vögel beobachten in Ostdeutschland - Die besten Beobachtungsgebiete zwischen Rügen und dem Thüringer Wald. Franckh-Kosmos-Verlag, Stuttgart.



Anfahrt:

Mit Bahn und Bus:
Straußfurt ist gut an das Streckennetz der Deutschen Bahn angeschlossen und der Bahnhof liegt in Gehentfernung zum Rückhaltebecken. Eine Umrundung des Gebiets zu Fuß ist möglich (11 km). Weil jedoch Ost- und Westdamm nicht betreten werden dürfen, muss man zwischen Straußfurt und Henschleben ein kleines Teilstück auf der Bundesstraße gehen (ca. 2,5 km). Deswegen lohnt sich die Mitnahme eines Fahrrads oder man fährt bis Henschleben mit dem Bus und beginnt seine Wanderung dort.

Mit dem Auto:
Straußfurt besitzt keine Autobahnausfahrt. Es liegt 20 km nördlich von Erfurt und kann von dort über die B 4 oder die L 2142 angefahren werden.

Adressen
Verwaltungsgemeinschaft Straußfurt, Bahnhofstraße 13,
99634 Straußfurt, Tel.: 036376/513-0, Fax: 036376/513-21,
E-Mail: post@vgstraussfurt.de; Internet: www.straussfurt.de


*


Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 6/2009
56. Jahrgang, Juni 2009, S. 205-208
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141; Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de

Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,80 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 49,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juli 2009