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SCHLUCKAUF/0023: Urhordenmusik - Nachtisch & Satire (SB)


Urhordenmusik


(Auszug aus einem Interview mit dem sambischen Klangspieler Mtoko Lozi)

Lozi: ... Musik, Musen, der damit verbundene Wunsch, in göttliche Sphären vorzudringen, abzuheben ins Elitäre, sich durch Musik gewissermaßen seines Leibes zu entledigen - das ist uns fremd. Wir nehmen einfach etwas in die Hand. Jemand trommelt auf einem hohlen Baum, ein anderer kommt, schüttelt dazu seine Maiskorn-Kalebasse, ein dritter schlägt auf eine Wassertonne und so fort. Wichtig dabei ist die Leidenschaft, die Ausschließlichkeit, der totale Einsatz. Die Bereitschaft, sein Engagement immer weiter zu steigern, ohne dabei die anderen auch nur einen Augenblick außer acht zu lassen. Das Spielen steht im Mittelpunkt, da sehe ich einen wesentlichen Unterschied zur westlichen Musik. Für mich ist Spielen nach Noten paradox, etwa wie Lachen auf Befehl. Wenn bei uns an die 20 Mitspieler eine Klangfläche weben und total dabei sind, schwankt nicht nur der Boden, es werden auch viele Dinge bereinigt zwischen den Leuten. Und auch sonst geht hinterher alles leichter.

Interviewer: Was hat uns Weiße bisher abgehalten, es Ihnen nachzutun?

Lozi: In der Kultur der Weißen ist der Körper ein Feind, der beherrscht werden muß. Denken Sie etwa an Ballettänzer. Da geht es um totale Körperbeherrschung. Aber wo Herrschaft ist, ist immer auch Widerstand. Die Zerstörung des Körpers ist zwangsläufig die Folge. Wir zwingen uns nichts auf, wenn man so will, sondern verleiten uns dazu, Dinge zu tun, die wir aus Furcht oder auch aus Trägheit sonst nicht tun würden. Wir beherrschen uns nicht, wir verschaffen uns Raum - und wir spielen.

Interviewer: Das klingt total cool.

Lozi: Viele Weiße empfinden aber genau das als lächerlich, als infantil, als unsäglichen Mangel an Selbstbeherrschung, den sie als primitiv ansehen oder oft auch als faul.

Interviewer: Aber Jerry Lee Lewis hat doch die schwarze Musik ...

Lozi: Ja, als die aus der weißen Herrschaftsmanie resultierenden gesellschaftlichen Widersprüche zeitweilig unerträglich wurden, kam es dazu, daß manche Weiße sich anderen Lebensweisen öffneten und dabei auch die Tragweite unserer zumindest rudimentär noch vorhandenen Fähigkeit, mit Klängen spielen zu können, ahnungsweise begriffen. Das hatte geradezu eruptive Auswirkungen auf die weiße Kultur, vor allem natürlich auf die Musik. Aber auch der damaligen Linken gab die Idee, gemeinsam und mit einfachsten Mitteln derart substantiell etwas in Bewegung setzen zu können, völlig neue Impulse. Das hat sich bis in Großveranstaltungen wie Woodstock hinein ausgewirkt, obwohl die bereits vollständig kommerzialisiert waren. Selbst der Nachhall der Ahnung, was Zusammenspiel bedeuten KÖNNTE, hat in den Industrieländern später noch Generationen bewegt.

Interviewer: ... und der schwarzen Musik zu Ansehen verholfen.

Lozi: Keine Frage, daß der Kommerz als Sieger aus dieser Begegnung hervorgegangen ist. Viele von uns haben sich dem Musik-Business angedient. Das gemeinsame Spielen mit Klängen ist ihnen fremd geworden, sofern sie überhaupt etwas davon verstanden haben. Heutige afrikanische Folklore oder sogenannte freie Improvisationen sind nicht dasselbe. Das sind aufeinander abgestimmte Egotrips, die festgefügte Strukturen brauchen, um sich durch den Bruch dieser Muster kurze Befreiungserlebnisse zu verschaffen.

Interviewer: Könnte nicht in Zukunft, wenn die Menschen der Moderne die Zwänge ihrer Lebensweise wieder gründlich satt haben, erneut eine Situation der Begegnung entstehen, die diesmal vielleicht nicht im großen Kommerz endet?

Lozi: Die Bereitschaft sich zu öffnen allein genügt nicht. Es müßte auch noch menschliche Gemeinschaften geben, die in der Lage sind, beispielhaft und mit der notwendigen Konzentrationsfähigkeit, gleichzeitig aber auch leicht und oberflächlich genug, mit einfachen Dingen umzugehen. Die meisten Menschen heutzutage, auch die Schwarzen, ertragen das nicht mehr. Sie unterliegen dem permanenten Zwang, sich zerstreuen zu müssen, sich in Komplexitäten zu verlieren. Ich selbst kenne nur noch einige wenige solcher Gemeinschaften, und die sind von Aids, Kriegen, Hunger und der Kultur der Weißen bedroht.

Interviewer: Aber dieses wertvolle Wissen darf man doch nicht so einfach untergehen lassen ...

Lozi: (Trommelt mit einem Gegenstand einen einfachen Rhythmus auf den Tisch) Hier, nehmen Sie das Lineal, oder die Schachtel mit den Büroklammern. Machen Sie mit. Einfach aus dem Bauch heraus. Ich rede jetzt mit Ihnen, hier mit meinem Bleistift. Tackatack. Hören Sie zu und dann antworten Sie mir, sprechen Sie mit mir. Tack - tackatackatacka - tack - tackatack ...

Interviewer: (lacht) Wie soll ich? Einfach so - äh, nee, Mann, ich bin doch kein -, ist nicht so mein Ding, äh, bin da 'n bißchen kompliziert, also, toll, aber nee, nachher vielleicht ...

14. Oktober 2008