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SCHLUCKAUF/0033: Störfaktor Personenschaden - Nachtisch & Satire (SB)


Störfaktor Personenschaden


Interview mit einem ehemaligen Lokführer der Deutschen Bahn, der sich unter dem Pseudonym "Jimmy Knopf" zum Thema "Personenschaden" äußert.

Frage: Herr Knopf, man hört und liest in letzter Zeit häufig von Unregelmäßigkeiten im Bahnverkehr, verursacht durch sogenannte Personenschäden, was in der Regel bedeutet, daß sich ein Mensch vor den Zug geworfen hat.

Knopf: Für dieses Problem, das auch von den Politikern gern verschwiegen wird, sucht die Bahn dringend Abhilfe. Primär, um die rufschädigenden Verspätungen der Züge zu reduzieren. Angedacht hat man bereits die Installation schneeschieberartiger Vorrichtungen an der Lok, mit deren Hilfe auf den Gleisen befindliche Hindernisse zur Seite wegschleudert werden können.

Frage: Würde ein Selbstmörder, der auf den Gleisen liegt oder vor die Lok springt, denn einen derart heftigen Stoß überleben?

Knopf: Höchstwahrscheinlich nicht. Doch das ist auch nicht der Punkt. Hauptsächlich geht es darum, den Zug vor Verunreinigungen durch Blut und Leichenteile zu bewahren, die die Fahrgäste erschrecken könnten, wenn der betreffende Zug in einen Bahnhof einläuft. Für den Einsatz direkt an der Unglücksstelle sind professionelle und diskrete Bergungsteams zuständig.

Frage: Aber man muß doch die Ursachen des Problems bekämpfen. Heutzutage ist die Vorsorge gegen alle möglichen Erkrankungen beinahe schon Pflicht. Warum gibt es beispielsweise gegen Depressionen, auf deren Konto an die 70% der weit über 9.000 Selbsttötungen im letzten Jahr in Deutschland gehen sollen, noch keine entsprechende Vorsorge?

Knopf: Weil Vorsorge hier bedeuten würde, die Lebensverhältnisse der Menschen so zu verändern, daß sie mit den Wirtschaftsinteressen nicht mehr in Einklang zu bringen wären. Um nur ein Beispiel zu nennen: Es müßte den Menschen wieder möglich sein, in stabilen sozialen Zusammenhängen zu leben. Das würde aber bedeuten, daß die heute eingeforderte Flexibilität hinsichtlich des Arbeitsplatzes vom Arbeitgeber nicht mehr verlangt werden dürfte. Welche Partei könnte so etwas durchsetzen? Und selbst wenn, wäre es nur ein winziger Teilschritt in Richtung von Lebensumständen, die ein effizienter Schutz gegen depressive Erkrankungen wären.

Frage: Kann man es auch so ausdrücken, daß Transportunternehmen wie die Bahn, die am ökonomischen Zwang zur Flexibilität kräftig verdienen, indirekt dazu beitragen, daß die Suizidrate weiter steigt?

Knopf: Das hört sich vielleicht zynisch an, aber ja, wenn man es so kurz schließen will, ist die Bahn in gewisser Weise an den Ursachen für die sich häufenden Unterbrechungen des Zugverkehrs selbst beteiligt. Sie profitiert davon, daß Menschen in anderen Städten arbeiten und sich dorthin transportieren lassen müssen. Diese zwangsweise Entwurzelung trägt wiederum zur Erhöhung der Suizidrate bei, wovon dann auch wieder die Fahrpläne betroffen sind.

Frage: Wie viele Menschen müssen sich täglich vor den Zug werfen, damit es endlich zu einem grundsätzlichen Umdenken kommt?

Knopf: Sicherlich sehr viele. Nehmen Sie das Beispiel Straßenverkehr. Auf unseren Straßen sterben jährlich rund 7000 Menschen, das sind etwa 19 Menschen pro Tag. Das finden wir völlig normal, niemand regt sich groß darüber auf. Wenn sich also 25 oder auch 50 Menschen täglich vor einen Zug werfen würden, wäre das zunächst wohl gewöhnungsbedürftig, aber die Grundstrukturen unseres Wirtschaftslebens infrage stellen könnte es sicherlich nicht.

Frage: Aber Herr Knopf, meinen Sie nicht, daß ...

Knopf: Oh nein, Entschuldigung, ich sehe gerade, es ist Viertel vor Neun, ich muß jetzt Schluß machen, sonst verpasse ich meinen Zug ...

28. Januar 2009