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SCHLUCKAUF/0092: Partnerdörfer - Nachtisch & Satire (SB)


Partnerdörfer

Ein Reisebericht der SCHLUCKAUF-Redaktion


Erste Etappe

In der niederen Lausitz, malerisch zwischen drei von Schilfgras und Sträuchern eingefaßten Seen, liegt das Örtchen Vattenstedt. Sauber und freundlich stehen die Häuser in aufwendig gestalteten Vorgärten. Bürgersteige und Gartenzäune sind überall auffällig neu. Die verwendeten Holz- und Steinarten ausnahmslos von höchster Güte. Auch der Straßenbelag, der nicht die kleinste schadhafte Stelle aufweist, ist von bester, schallschluckender Qualität.

Vattenstedts Bürger geben uns auf der Straße bereitwillig Auskunft über ihr Vorzeigedorf, das nicht nur äußerlich besticht. Auch die Arbeitslosigkeit ist ungewöhnlich gering. Nach ihrem Arbeitgeber gefragt, antworteten die meisten mit einem fröhlichen "Vattenfall".

Nur als wir auf die Seen in der Umgebung des Dorfes zu sprechen kommen und fragen, ob man dort auch angeln oder baden könne, verschließen sich die Mienen abrupt. Mit einem genervten "Keine Ahnung" wird sich abgewandt.

Sollte das Gerücht doch stimmen, daß Vattenfall im Zuge des Braunkohleabbaus die Seen der Region mit Säurerückständen kontaminiert hat? Die eilig zur Eröffnung der supermodern eingerichteten "Vattenkita" strömenden Dorfbewohner erwidern die entsprechende Frage mit einem Gesichtsausdruck, als hätte man sie nach ihren pädophilen Neigungen gefragt.


Zweite Etappe

Am Rande der Geest, wo die Luft noch nach Salz schmeckt und das Nordseeklima auch sonst deutlich spürbar ist, liegt neben einem lichten Kieferngehölz das Dorf Exowalden. Gemessen an den wenigen Häusern, die an der mit muschelbesetzten Kantsteinen eingefaßten Straße liegen, nehmen das große Wellenbad mit dem ausgedehnten Spa-Bereich und der erstklassige Golfplatz sich zunächst beinah protzig aus. Doch als wir erfahren, daß deren Benutzung für sämtliche Dorfbewohner unentgeltlich ist und die Firma Exxon Mobile auch sonst viel für das Wohl der Dorfbewohner tut, sehen wir es gleich in anderer Relation.

Unsere arglose Frage jedoch, ob es nicht die Firma Exxon Mobile war, die ganz in der Nähe nach der "Fracking"-Methode zur Gasförderung Chemikalien ins Erdreich pressen ließ, wodurch das Grundwasser in Gefahr geriet, wurde nur mit einem verständnislosem Schulterzucken beschieden. Und als unser Hund aus einer der seltsam blubbernden Pfützen am Rande des Wäldchens trinken wollte, wurde er von einem wütenden Dorfbewohner vertrieben. Hunde würden Krankheiten auf die Wildtiere übertragen, lautete die seltsame Begründung des Mannes in der komfortablen Wetterjacke mit Exxon-Logo auf der Brust.


Dritte Etappe

Inmitten sanft gewölbter, mit sattgrünem Gras bedeckter Hügel träumt das Fachwerkhausdorf Bayerbergen. Kein Unkraut verunziert die Gehwege, kein Schädling nagt an den üppig blühenden Rosenspalieren, kein Moos bewohnt die Mauerritzen. Freundliche Dorfbewohner nicken uns zu. Alle wirken zielstrebig und beschäftigt, aber nicht gestreßt, sondern durchaus zufrieden. Als wir uns in der Dorfapotheke mit Malzbonbons versorgen, sehen wir, daß die anderen Kunden zwar Medikamente ordern, aber offenbar nichts dafür bezahlen. "Für Dorfbewohner sind sämtliche Bayer-Produkte kostenlos", beantwortet die Apothekerin unsere fragenden Blicke.

Weil wir uns vor der Heimfahrt noch ein wenig die Beine vertreten wollen, fahren wir vorbei an der Schönheitsfarm, deren Dienste und Kosmetikprodukte ebenfalls für Dorfbewohner kostenfrei sind, in Richtung der wunderbar symmetrisch gerundeten Hügel. Weil keine Straße und kein Weg direkt dorthin führen, steigen wir aus und gehen mit unserem Hund Sherlock querfeldein.

Am Fuß eines der Hügel beginnt Sherlock, ein leidenschaftlicher Buddler, sofort mit seiner Lieblingsbeschäftigung. Wenige Minuten später liegt er zitternd und mit Schaum vor dem Maul vor dem etwa 30 cm tiefen Erdloch. Behutsam tragen wir ihn zum Auto und fahren wie der Teufel zur nächsten Tierklinik. Mit viel Glück wird er überleben, sagt der diensthabende Veterinär. Überanstrengung? fragen wir. Nervengift! widerspricht der Tierarzt. Als verantwortungsbewußte Tierhalter informieren wir umgehend den Bürgermeister von Bayerbergen. Der droht uns zum Dank mit einer Verleumdungsklage.

Inzwischen geht es Sherlock wieder gut. Er streift durch unser etwas verloddert wirkendes Dorf mit den unbefestigten Straßenrändern, den bemoosten Mauern und dem Dorfbäcker als einzigem Laden sowie der Bank unter der Dorfeiche als einziger unentgeltlicher Freizeiteinrichtung. Schön, wieder zuhause zu sein.

5. November 2011