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SCHLUCKAUF/0131: Vom Senior zum Schandgreis - Nachtisch & Satire (SB)


Vom Senior zum Schandgreis



Um der Frage vorzubeugen, wo eigentlich das Geld geblieben ist, das die heutigen Rentner seinerzeit in die Rentenkasse eingezahlt haben, wurde jetzt der Koalitions-Sonderausschuß "Alternativen zur Altersarmut" gebildet. Der Ausschuß beschäftigt sich nicht nur mit neuen Rentenfinanzierungsmodellen, sondern auch mit gesellschaftlichen Veränderungen im Hinblick auf die Bewertung des Seniorenalters schlechthin.

"Unser Ausschuß soll auch an bisherige Tabus rühren, etwa an das Idealbild eines möglichst langen Lebens, ungeachtet der tatsächlichen Lebensqualität", kündigte Ausschußsprecherin Karla Greisenwürger an. "Achtung vor älteren Menschen", fügte sie hinzu, "ist nicht zwangsläufig damit verbunden, sie als hochbetagte Pflegefälle endlos dahinsiechen zu lassen."

Unter diesem Vorzeichen steht auch die geplante Informationsreise einiger Ausschußmitglieder in das Amazonasgebiet. Dort praktiziert das Volk der Suruaha (auch Zuruaha) eine Lebensform, die den Suizid durch ein Lianengift seit etwa 100 Jahren zum festen Bestandteil hat. Obgleich die Mehrheit der Suruaha teilweise schon in jungen Jahren ihren Tod selbst herbeiführt, ist das Volk bisher noch nicht vom Aussterben bedroht gewesen.

Für die Ausschußmitglieder von besonderem Interesse ist an der Lebensweise der Suruaha, daß älteren Stammesmitgliedern fast ausschließlich mit Spott oder unverhohlener Verachtung begegnet wird. Ganz besonders tun sich Kinder und Jugendliche dabei hervor. Denn wer den Suizid mit Hilfe der Lianendroge vermeidet, kann nach dem Glauben dieses Volkes im Jenseits nicht mit den anderen Stammesmitgliedern zusammentreffen. Nur wer sein Leben selbst beendet, schließt sich der Stammesgemeinschaft im Jenseits an. Kein Wunder, daß alte Menschen bei diesem Volk nur selten anzutreffen sind.

Ganz besonders inspirierend für die Ausschußarbeit dürfte allerdings die Tatsache sein, daß die Gesellschaftsordnung der Suruaha auf einer grundlegenden Zerstörung ihrer ursprünglichen Sozialstruktur durch die Brasilianer beruht. Erst nachdem ihre Häuptlinge und Schamanen getötet worden waren, begann der suizidale Gebrauch der ursprünglich zu rituellen, nicht-tödlichen Zwecken verwendeten Lianendroge. Es ist also möglich, in menschlichen Gesellschaften nach einer entsprechend destruktiven Zäsur bereits innerhalb von zwei, drei Generationen den aktiven Suizid allgemein zu etablieren.

"Ein ermutigender Sachverhalt, was unsere demographischen Probleme angeht", so Greisenwürger. "Und er zeigt einmal mehr, daß wir von Naturvölkern eine Menge lernen können!"

13. November 2013