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UNTERNEHMEN/001: Volkswagen will an die Weltspitze (Irene Feldbauer)


Die 64. Internationale Automobilausstellung 2011
Eine Nachlese

Volkswagen will an die Weltspitze

Der Wolfsburger Konzern dominierte die weltweit wichtigste Automobilmesse

von Irene Feldbauer, 26. September 2011


Wenn die 64. IAA laut VDA-Präsident Matthias Wissman mit weit über 900.000 Besuchern (10 Prozent mehr als 2009) als weltweit wichtigste Automobilmesse "starke Zeichen" gesetzt habe, dürfte VW für sich in Anspruch nehmen, ein gerüttelt Maß dazu beigetragen zu haben. In Zeiten unruhiger Finanzmärkte seien von der IAA "starke Signale der realwirtschaftlichen Stabilität und des automobilen Wachstums" ausgegangen, so Wissmann weiter. Premium sei "weiter auf dem Vormarsch", die Position der deutschen Hersteller "mit einem Weltmarktanteil von 80 Prozent sehr stark."

VW war mit 54 Ausstellungsfahrzeugen und einer Vielzahl von technischen Exponaten auf 8.893 m² Standfläche auf der am 25. September 2011 in Frankfurt/Main zu Ende gegangenen Automobilschau für PKW vertreten. Ein Highlight unter den Weltpremieren war der neue Kleinwagen up!, der in einem eigenen Showroom multimedial vorgeführt wurde. Mittelpunkt waren ebenso die neuen Modelle Golf Cabriolet und Tiguan.

In den Showrooms des up!, des Beetle und im Technikbereich diente ein Webspecial in Deutsch und Englisch als Audioguide. Zur Nutzung verteilten Hostessen an die Besucher täglich rund 400 Kopfhörer. Um die Ausstellungsexponate und mehr als 100 Showelemente perfekt zu beleuchten, waren rund 2.100 Lampen installiert und rund 80 Kilometer Kabel verlegt worden. Insgesamt 228 Hosts und Hostessen sowie rund 80 Volkswagen-Mitarbeiter standen zur Betreuung der Besucher auf dem Stand oder dem Probefahrt- und Offroad-Gelände bereit.


Eine breit gefächerte Palette

Zahlreiche Gäste machten von dem Angebot einer Probefahrt Gebrauch, wozu VW mit 74 Wagen die größte Flotte der Messe stellte. Gewählt werden konnte aus der gesamten VW-Palette - vom Polo über den neuen Golf blue-e-motion mit Elektroantrieb bis zum Touareg Hybrid.

Mit dem up! stellte VW nicht schlechthin ein neues Modell vor, sondern feierte Weltpremieren von gleich sechs New Small Family Studien, auch "Fenster in die Zukunft" genannt. Denn mit der Weltpremiere des zweitürigen up! wurde das Startsignal für eine ganze Baureihe, die New Small Family gegeben: für einen emissionsfreien City-Spezialist mit E-Antrieb, den e-up!, den mit Erdgas betriebenen eco up!, dann den spezialisierten buggy up! und den up! azzurra sailing team, den für den urbanen Dschungel konzipierten cross up!, und schließlich für die heimischen Autobahnen den der GT up!.

Zum VW-Angebot gehörte ferner ein großes Spektrum weiterer Neuheiten, darunter der Beetle R Concept und der komplett veredelte Beetle Fender. Einen Ausblick in die "Welt von morgen" gab das Elektrofahrzeug NILS.


Bis 2020 eine Million E-Autos

Die breit gefächerte Vorstellung von Elektroautos bei VW wie auch bei weiteren Ausstellern war dem Ziel geschuldet, dass Deutschland bis 2020 auch in diesem Sektor zum Leitmarkt weltweit führender Anbieter der die Umwelt schonenden Fahrzeuge werden soll. Die besten Chancen werden hier neben VW, BMW, Daimler und Opel eingeräumt. Daimler und der weltgrößte Zulieferer Bosch sind bereits dabei, in einem gemeinsamen Tochterunternehmen "EM-Motive" mit der Produktion von Elektromotoren zu beginnen.

Allerdings fehlte es noch an aussagekräftigen Antworten auf die Frage, wie die Umweltverschmutzung beseitigt oder zumindest verringert und nicht nur von den befahrenen Strassen dorthin verlagert wird, wo weiterhin der Strom erzeugt werden muss.

Das soll sich nun ändern. Die Autoindustrie setzt bei Erreichung der CO2-Ziele auf massive staatliche Förderung. In Deutschland soll laut eines Beschlusses der Bundesregierung aus dem Jahr 2009 bis 2020 eine Million Elektroautos fahren. Dieses Vorhaben hat die Regierung im Mai 2011 bekräftigt und stellte ab 2012 eine noch stärkere Förderung in Aussicht. Bundeskanzlerin Merkel, welche die IAA eröffnete, hat das nochmals bekräftigt und zugesagt "Wir werden hilfreich zur Seite stehen."

VW-Tochter Audi brillierte in der kompakten Klasse mit einem SUV Q3, der dem BMW X1 Konkurrenz machen soll. Mit einem Einstiegspreis von voraussichtlich 30.000 Euro erhält er gegen Aufpreis mehrere Assistenzsysteme, Allradantrieb und Motoren von vorerst 211 PS. Das soll dazu beitragen, noch in diesem Jahr "wahrscheinlich die Schwelle von 1,3 Millionen Einheiten" zu überspringen und damit Mercedes zu überholen, wie von Audi-Chef Rupert Stadler zu hören war.

Bei Porsche markierte den Generationswechsel ein Neuer 911 als 991er mit geringfügig größerer Abmessung, der in seiner bekannten ikonographischen Form bleibt, aber mit neuem Boxer in kleinerem Hubraum, der trotz höherer Leistung weniger Sprit fressen soll.

Bei Neuzulassungen steht VW in sechs von zwölf Fahrzeugklassen bereits heute an der Spitze. Polo, Golf, Passat und Tiguan belegten im Mai 2011 den ersten Platz bei Pkw-Neuzulassungen. In der Kompaktklasse bleibt der Golf unverändert Spitzenreiter. Von ihm sind im Mai 25.606 Fahrzeuge neu zugelassen worden. In der Mittelklasse lag der VW Passat mit 10.075 Einheiten vorn. 2010 verkaufte das Unternehmen insgesamt mehr als sieben Millionen Fahrzeuge - so viele wie noch nie.


Auf dem Weg an die Weltspitze

Ein ins Auge springender Eindruck auf der 64. IAA war die wachsende Vielfalt der Modellreihen, die 2015 von derzeit 315 auf 415 steigen soll. 1995 waren es noch etwas mehr als die Hälfte. Dieser Trend hat einen einfachen Antriebsmotor, den harten Wettbewerb um Marktanteile.

VW ist mit 80 Grundmodellen vom Kleinstwagen bis zum Bus Europas größter Autobauer und, wie eine Studie des Center of Automotive Management (CAM) einschätzte, auch der "weltweit mit Abstand leistungsstärkste Automobilhersteller". Bis 2018 will der Wolfsburger nun an die Spitze des Weltmarktes treten. Wie andere deutsche Firmen auch, konnte VW davon profitieren, dass der Hauptkonkurrent Japan durch Erdbeben, Tsunami und Atomkatastrophe angeschlagen ist. Das trifft auch und vor allem den bisherigen Primus Toyota. Das japanische Industrieflaggschiff erlitt im Ersten Quartal 2011 einen Absatzeinbruch von 33 Prozent. Also scheint es, dass das Rennen mit General Motor ausgetragen wird.

Als einen diesen Vormarsch störenden Konkurrenten hat VW allerdings Hyundai ausgemacht, der mit seinen i40 und i30 Mittelklassemodellen nicht nur dem Golf, sondern wohl auch VW insgesamt Paroli bieten will. Der Koreaner will über drei Prozent seiner Fahrzeuge auf dem deutschen Markt absetzen. VW-Chef Martin Winterkorn hatte Hyundai und dessen Tochter KIA schon vor der IAA als "gefährlichsten Wettbewerber" und "härtesten Rivalen" genannt.

Eckpunkte der VW-Strategie auf dem Weg an die Weltspitze sind Einsparungen, höhere Produktivität, neue Modelle und neue Produktionsstätten. So sollen die up!-E-Modelle auf der Grundlage eines "Modularen Querbaukastens" (MQB) gefertigt werden, was die Zahl gleicher Teile bei den Marken und Modellen erhöhen und die Kosten um 20 bis 30 Prozent senken soll.

In den USA wird demnächst ein neues Werk eröffnet. In Russland, wo VW bereits einen eigenen Betrieb unterhält, will der Wolfsburger den einheimischen Autoproduzenten GAZ unter seine Fittiche nehmen. Auch in Indien nahm kürzlich ein VW-Werk die Produktion auf. Von den Aktivitäten auf dem boomenden chinesischen Markt wird weiter unten die Rede sein.


Die Großfamilie

Ein weiterer Faktor der Erfolgstrategie von VW ist das Konzept der "Großfamilie". Dieser VW-Group gehören inzwischen mehrere Tochterunternehmen unterschiedlicher Größen und Wertigkeit an. VW selbst besetzt mit seinem weltweiten Bestseller, dem Golf, die Mitte, während die Familienmitglieder andere Segmente wahrnehmen.

Fangen wir bei Audi an, einem, wenn nicht überhaupt dem Champion in der oberen Mittelklasse und im Premiumbereich, aber auch bei den Coupés und im Allradsektor. Bentley ist ein herausragender Repräsentant in der Luxusklasse, Lamborghini bei exklusiven Sportwagen. Nicht zu vergessen der extravagante Bugatti mit dem Veyron, dem einstmals schnellsten Seriensportler der Welt. Seat, die spanische Tochter, bietet derzeit vor allem mit dem Ibiza im Kleinwagensektor ein gefragtes Modell an. Skoda, einer der ältesten Autobauer der Welt, der aus dem früheren Ostblock zur Familie stieß, trägt zum Ansehen vor allem in der (oberen) Mittelklasse bei. Das VW-eigene Unternehmen Nutzfahrzeuge besetzt den Kleinbus- und Transporterbereich. Zu VW gehört mit Scania einer der größten Lkw-Bauer Europas. Nicht zu vergessen die Sport Utility Vehicles (SUV), bei denen VW selbst mit Tiguan und Touareg die wohl stärksten Modelle stellt.

Die von VW und dem weltweit gefeierten Sportwagenbauer Porsche angestrebte Zusammenarbeit in Familie ist durch juristische Probleme ins Stocken geraten, dürfte aber von beiden Seiten weiter verfolgt werden. Etwas schwieriger scheint es um die Kooperation mit Suzuki zu stehen. Dem Vernehmen nach hat das auf Kleinwagen und Motorräder spezialisierte Familienunternehmens Osama Suzuki die Zusammenarbeit mit Volkswagen in Frage gestellt. Dennoch hielten sich beide Seiten auf der Messe bedeckt und viel mehr als bereits bekannt, war in Frankfurt nicht zu erfahren. VW hatte im Dezember 2009 einem Anteil von knapp 20 Prozent bei dem viertgrößten japanischen Hersteller gekauft, während dieser 1,5 Prozent vom Partner erwarb. Suzuki hoffte, dadurch seine Position in Indien zu stärken, wo seine Tochter Maruti Marktführer ist. VW wollte von neuen Technologien des Japaners profitieren. Gemeinsam sollten Einsteigerautos für Entwicklungs- und Schwellenländer sowie umweltfreundliche Wagen für Käufer in den Industriestaaten gebaut werden. Soweit durchsickerte, soll Suzuki vertragswidrig von FIAT Dieselmotoren bezogen haben. VW setzte den Japanern "eine mehrwöchige Frist", um "diesen Sachverhalt zu korrigieren". Hinter vorgehaltener Hand war in Frankfurt auch davon die Rede, dass VW an eine Mehrheitsübernahme denke. Alles schien aber eher darauf hinzudeuten, dass man eine einvernehmliche Lösung sucht. Das ist der derzeitige Stand zu dem es noch hieß, FIAT wolle den Platz von VW einnehmen, wozu sich Vertreter des Italieners allerdings vielsagend ausschwiegen.


Feste Präsenz in China

2010 waren weltweit rund eine Milliarde Kraftfahrzeuge in Betrieb, darunter 850 Millionen Pkw. Die Branche erklärt zum wesentlichen Ziel, bis etwa 2025 weltweit eine Vollmotorisierung durchzusetzen und die KfZ-Flotte zu verdoppeln, darunter 1,7 Milliarden Pkw. Da in den USA und Westeuropa eine wesentliche Steigerung der Fahrzeugzahlen kaum mehr möglich ist, könnte das nur durch die Einbeziehung der Schwellenländer realisiert werden. Hier wird auf China und Indien gesetzt, die einen noch völlig ungesättigten Markt darstellen. Liegt die Versorgungsdichte mit Fahrzeugen in Westeuropa bei 600 pro 1000 Einwohner und in den USA sogar bei 800 je Einwohner, so liegen die Quoten in China und Indien mit 34 bzw. 14 Autos auf 1000 Einwohner davon weit entfernt. Obwohl in China Autos noch den reichsten Schichten vorbehalten sind und ihre Nutzung noch immer Sache einer Minderheit ist, konnte die Autoindustrie in dem 1,3 Milliarden Einwohner zählenden bevölkerungsreichstem Land der Erde 2009 dennoch mit zwölf Millionen Fahrzeugen mehr absetzen als in den USA. Zugute kommt dem Export, dass in der generell exportorientierten chinesischen Industrie die einheimische Autobranche vornehmlich auf den Binnenmarkt ausgerichtet ist, vorerst jedenfalls. 2009 wurden weniger als 10 Prozent in China gefertigter Fahrzeuge exportiert. Dabei muss jedoch kalkuliert werden, dass vieles dafür spricht, dass sich auf den gewaltigen Automärkten in China wie in Indien längerfristig eigene Autokonzerne bilden werden. In Aktion ist bereits der indische Tata-Konzern.

Spielte auf der diesjährigen IAA der chinesische Auto-Konzern Changqing Changan (CCA) noch eine Statistenrolle, so könnte sich das in nicht allzu ferner Zukunft schon ändern. Der 1988 gegründete Staatskonzern hat in den letzten Jahren bereits mehrere Joint Ventures ausprobiert. Derzeit ist der französischen PSA-Konzern an der Reihe. CCA gibt an, jährlich 1,5 Millionen Autos zu produzieren.

Nicht auf der IAA war der chinesische Auto-Konzern BAI vertreten. Auf internationaler Ebene machte er erstmals von sich reden, als er in der Opelkrise GM ein Übernahmeangebot unterbreitete, mit dem das Unternehmen aber nicht zum Ziel kam. Weniger bekannt wurde, dass sich der Chinese am Ausschlachten der insolventen GM-Tochter Saab beteiligte und Lizenzen des Schweden aufkaufte. In den Wandelgängen der IAA wurde gemunkelt, das Unternehmen in Trollhättan kämpfe noch immer um eine Fortexistenz, bei der wiederum von China die Rede war.

Wenn VDA-Präsident Wissmann in seiner Eröffnungsrede angemahnt hatte, die Dynamik, mit der sich der chinesische Automobilmarkt in den letzten Monaten entwickelte, nicht zu unterschätzen, musste sich VW diese Jacke nicht anziehen. Der Wolfsburger, der bisher in China 1,4 Millionen Fahrzeuge verkaufen konnte, hat diese Entwicklung offensichtlich frühzeitig erkannt. Seit 25 Jahren dort präsent, verfügt er neben GM und Toyota mittels Joint Ventures mit sieben Produktionsstätten über starke Positionen. Bis 2012 sollen zur Errichtung weiterer zwei Werke acht Milliarden Euro investiert werden, bis 2013/14 dann jährlich rund drei Millionen Fahrzeuge in den Verkehr rollen. Damit geht die Verbreitung von Autos in China bereits schneller voran als während der 1950er Jahre in den USA oder in den 1960ern in Europa. Aufmerksam wurde denn auch verfolgt, dass der Präsident des chinesischen Automobilverbandes, Dong Yang., zu den Gästen der IAA zählte und auch auf dem VW-Stand empfangen wurde.


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Quelle:
© 2011 by Irene Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. September 2011